Nach Jahren der Rivalität schlossen Ende der 90er SNK und Capcom Verträge über gemeinsame Videospiele ab, in denen ein von Fans lang ersehntes Zusammentreffen der Kampfspielikonen stattfinden sollte.
Mit Capcom vs SNK 2 (CvS2) auf dem Gamecube (2001) habe ich damals seit langem wieder viel Zeit mit einem meiner Lieblingsgenres, den 2D-Kampfspielen, verbracht. Von der kargen Auswahl auf dem N64 gebeutelt, lechzte ich geradezu nach kampfsportgeschulten Sprites. Hier lernte ich erstmals Super Specials auszuführen und spielte es trotz fehlender menschlicher Gegner (meine Freunde interessierten sich insbesondere für PC-Egoshooter) häufiger, als die meisten anderen Titel zu dieser Zeit. Hauptgrund dafür war der riesige, ikonische Kader, der zur Hälfte der Feder der Genregötter SNK entstammte. Wegen fehlendem Neo Geo kannte ich ihre Spiele praktisch nur von Berichten aus Videospielzeitschriften und war von ihrem Grafikstil und dem Charakterdesign mehr als fasziniert. Kurz bevor CvS2 erschien, begann ich bereits Neo Geo Portierungen auf schwächeren Konsolen, wie dem SNES und dem Gameboy, nachzuholen, um mir zumindest in Grundzügen deren Spielgefühl zuzuführen. Doch in CvS präsentieren sich die Kämpfer natürlich in ganz anderem Glanz. Ich dachte seinerzeit sogar, es handele sich hier um echte Neo Geo Sprites, obwohl Capcom, dank stärkerer Hardware, zu dieser Zeit die größten und am flüssigsten animierten Charaktere zauberte, als die, die die SNK-Welt bisher kannte. Nur der kleinere Teil, wie beispielsweise Rock und Terry aus Garou, Hibiki aus The Last Blade 2, Haohmaru und Nakoruru der Samurai Shodown-Reihe und Ryo in seiner Art of Fighting 3-Inkarnation bewegten sich auf Augenhöhe.
Ich war also klar auf SNK fokussiert, als auf den altbekannten und für mein Empfinden biedereren Kreis der Capcom-Schläger. Umso begeisterter war ich, im Jahr 2003 von SNKs Interpretation der Thematik, mit dem treffenden Namen SNK vs Capcom (statt Capcom vs SNK), zu hören. Das musste erst recht der Shit schlechthin sein. Leider wurde mal wieder für die falschen Plattformen portiert (der Gamecube ging leer aus) und so vergingen einige Jahre, bis ich mir die 2005 in Europa veröffentlichte PS2-Version zu Gemüte führen konnte. Zu dieser Zeit war mir bereits mehrfach dessen nicht allzu guter Ruf zu Ohren gekommen. Im Prinzip wird häufig nahezu alles kritisiert, was man an einem Kampfspiel nur kritisierten kann. Angefangen bei der schlechten Charakterbalance und nicht immer optimal platzierten Hit- und Hurtboxen (unsichtbare Rechtecke, die zum Beispiel den Körper der Kontrahenten repräsentieren und damit den Bereich darstellen, in dem ein Angriff Schaden zuführt und wo ein Kämpfer Schaden nimmt), über zu triste Hintergründe und Klang- und Musikuntermalung bis hin zu kompletten Elementen des Kampfsystems. Bei Letzterem natürlich insbesondere gegenüber dem prägnanten »Guard Cancel Front Step«, zu dem ich später noch komme.
Um es vorwegzunehmen, ich sehe die meisten dieser Punkte weniger kritisch, obwohl ich sie nachvollziehen kann. Einiges davon ist durchaus eine Frage des Geschmacks und trifft eben meinen eher, als den Anderer. Hier nun also meine Meinung zu einem der sicherlich ungeschliffensten Genrebeiträgen SNKs.
SNK inszeniert das Zusammentreffen sichtlich düsterer als Capcom bei ihrem CvS. Im in feinstem 2D dargestellten Intro stehen sich die angeschlagenen Leitfiguren Ryu und Kyo im nächtlichen Wald gegenüber und werden von den unheimlichen Mr. Karate und Akuma auseinandergetrieben. Hier sieht nichts nach der poppigen Aufmachung von CvS 2 mit seiner schrillen Musik und den bunten Hintergründen aus. Hier geht es vielleicht gar um Leben und Tod. Und passend dazu ist auch das ganze Drumherum gehalten. Bspw. das Charakterdesign, die eher untergeordnete Geschichte und eben die Hintergründe.
Während in CvS von Capcom auch dem SNK-Kader ein etwas weicherer, hellerer und plastischerer Look verpasst wurde, wird der Capcom-Club in SvC in einem düsteren und harten Stil, mit Ähnlichkeit zur King of Fighters Nests-Saga (99-02) dargestellt. Das steht ihnen ausnahmslos gut bis hervorragend. Richtig genial sind vor allem Sagat, Guile und Dhalsim mit seinen grandios animierten Armen sowie die Bosse Zero und Red Arreemer.
Bei den Animationen wird für Neo Geo Verhältnisse reich aufgetischt. Art of Fighting 3 und Garou werden zwar nicht erreicht, allerdings bieten selbst die späten KoFs nicht dieses Niveau. Dass man den SFIII 3rd Strike-Riesen Hugo durchaus gleichwertig flüssig präsentiert, ist eine ziemliche Ansage.
Ähnlich wie seinerzeit Capcom die für CvS Sprites aus der Street Fighter Alpha-Reihe (ab 95) und im Fall von Morrigan sogar aus Darkstalker (94) wiederverwerteten, ergriff SNK Sparmaßnahmen bei den eigenen Vertretern. So müssen bei einigen Schlüsselcharakteren alte Sprites aus KoF herhalten, die teilweise seit KoF96 keinen oder zu geringen Modernisierungen unterzogen wurden. So können bspw. Kyo, Iori, Terry, Mai, Ryo und Geese, die eigentlich das SNK-Feld anführen sollten, nicht mehr mit den neuen Entwürfen - inklusive dem kompletten Capcom-Kader - mithalten. Immerhin bekommen u.a. Samurai Shodown-Fans mit Genjuro, Earthquake und Shiki wirklich gelungene Neuinterpretationen zu Gesicht.
Überhaupt wurde sich bei der Präsentation des Kämpferfeldes sehr viel Mühe gegeben. Das fängt bei den genialen Promo-Zeichnungen mit überpräsenter Perspektive an, geht bei den perfekten Porträts weiter und weckt mit seinen mächtig inszenierten Bossen Erinnerungen an KoF 97 und CvS. Auch der Arcademodus lockt mit vielen Dialogen zwischen den Kämpfern und den spektakulären und SNK-typischen ziemlich frustrierenden Bosskämpfen.
Auch die Auswahl der mit allen Bossen insgesamt 36 ist bemerkenswert. Neben den üblichen Ikonen aus KoF und Street Fighter II gibt es bei diesem Aufeinandertreffen einige besonders rare Auftritte zu bewundern. Zum Beispiel die Giganten Earthquake und Hugo oder das, 2D-Debut auf stationären Konsolen von Shiki, die man sonst nur aus dem zweiten 3D-Samurai Shodown auf der seltenen Hyper Neo Geo 64-Hardware kennt. Erst rund 20 Jahre später wird sie einer breiten Masse im 2019er Samurai Shodown bekannt gemacht, wobei sie dort abermals in Polygongewand auftritt. Auch Tessa/Tabasa des recht unbekannten Capcom-Kampfspiels Red Earth aus der Spielhalle gab es sonst noch nirgendwo. Im Feld der Bosse Zero aus Mega Man, dem Dämon Red Arreemer aus dem Ghouls n Ghosts bzw. Gargoyles Quest-Universum oder Athena aus ihrem Debütspiel anzutreffen, ist ebenfalls ziemlich außergewöhnlich.
Passend zu einem Zusammentreffen aus verschiedenen Kampfspielen unterscheiden sich die Kampfkünstler zusätzlich in ihrer Spielbarkeit voneinander. So verhalten sich KoF-Vertreter wie gewohnt und starten Combos über die typische Folge »naher harter Angriff« in »command normal« in Special. Street Fighter-Charaktere gelangen stattdessen von leichten in mittlere oder harte Angriffe über »Links« also mit gutem Timing. Die Schwertkämpfer sind hingegen eher auf einzelne, besonders schmerzhafte Hiebe ausgelegt. Doch auch darüber hinaus gibt sich SNK sehr detailverliebt. So erinnert die Boss-Version von Mr. Karate in einigen Punkten tatsächlich noch an die klassischen Art of Fighting-Titel. Er kann wie seinerzeit mit gut platzierten, schnellen Schlägen sogar Feuerbälle neutralisieren, seine Spezialleiste selbst aufladen und von den Wänden abspringen. Genjuro beherrscht wie in späten Samurai Shodown-Ablegern die Wutexplosion mit dem anschließenden Dash-Angriff »Issen«.
Diese starken Unterschiede im Kampfsystem sind dabei durchaus ein Ausgleich zum »Groove«-Konzept von CvS2; insbesondere, da einzelne Charaktere beispielsweise keine Super Spezialmoves ausführen können oder weniger vom Maximum Modus profitieren.
Was das Kampfsystem angeht, wurde weitestgehend Neuland betreten. Am dichtesten liegt es noch an KoF. Das merkt man besonders, wenn man einen entsprechenden Charakter wie Kyo aber ebenso Kim oder Kasumi wählt, deren Combo-System dem von KoF entspricht. Allerdings gibt es keine niedrigen Sprünge mehr, Hyper Sprünge (vor dem Sprung nach unten antippen) hingegen schon. Auch die typischen Ausweichrollen und das Sprinten wurden gestrichen. Stattdessen gibt es Dashes und eine dreistufige Superleiste, bei der mit Erreichen des Maximums automatisch der Max-Mode aktiviert wird und ähnlich wie in KoF für eine Weile aktiv ist. Wie gewohnt sind hier sonst unmögliche Cancel-Combos wie Special-in-Special sowie einige Normalangriff-in-Specials ausführbar. Gerade mit Ersterem sind Combos möglich, die bis zum Auslaufen des Maximums endlos wiederholbar sind. Ebenso wie das Ausführen von Super Moves zehrt das jedes Mal ein wenig an der ablaufenden Maximum-Leiste.
Dominantes Element allerdings ist der sogenannte Guard Cancel Front Step (GCFS), der für SvC ähnlich prägend ist, wie sonst beispielsweise das Parieren in SFIII oder das Fokussystem in SFIV. Hiermit lässt sich der Blockstun, also die Phase während der Verteidigungsanimation nach geblocktem Angriff, in der man kurzfristig keine weiteren Aktionen ausführen kann, jederzeit mittels Vorwärtsdash abbrechen. Daraus resultiert die Möglichkeit nahezu uneingeschränkter Konter oder zumindest der Umkehr des Offensivmomentums, da dieser man während des Dashes noch ein paar Millisekunden unverwundbar ist. GCFS ist demnach entsprechend mächtiger, so er als Reaktion auf eher langsame Angriffe angewandt wird, so dass der eigentliche Angreifer nicht rechtzeitig in die Defensive wechseln kann. Aber auch gegen Schnelle, um eine immerwährende Unsicherheit beim Kontrahenten zu erzeugen, solange man selbst den nötigen Füllstand der Super-Leiste vorweisen kann. Mindestens mit einem Wurf lassen sich die meisten Angriffe des Gegners auf diese Art Kontern, weshalb hier ein ins Leere gegangener Wurfversuch sogar mit dem Verlust eines Teils eurer Spezialenergie bestraft wird, um dessen großen Nutzen etwas abzumildern. Recht einfach lässt sich der GCFS per Knopfdruck ausführen. Nur ein Drittel von der Super-Leiste zieht es aber im Vergleich zu dieser Methode ab, wenn der GCFD über die typische Dash-Eingabe (vorwärts, vorwärts) ausgeführt wird.
GCFS ermöglicht somit ein sehr variantenreiches und offensives Kampfverhalten. Dass einige Charaktere leichter Vorteile aus diesem Element ziehen können als andere, leistet auch einen Beitrag zur etwas rauen Charakterbalance. Allerdings ist es, ähnlich wie im Parry-System von Street Fighter III, möglich, durch diese mächtige Technik, mit theoretisch schwächeren Charakteren fast jede Offensive des Gegners zu kontern. Ohne den GCFS würden diese Kämpfer regelrecht von den Stärkeren - insbesondere von den Bossen - erstickt werden.
Bei den folgenden Punkten muss ich allerdings die harte Kritik der Vergangenheit ebenfalls unterstreichen. Die Hitboxenplatzierung (in dem Fall die Pushbox) und die daraus resultierende sichtbare Kollisionsabfrage der Sprites lässt viel Raum für Feinabstimmung. Ähnlich wie noch in KoF 96 bewegen sich manche Kämpfer im Angriff äußerst weit nach vorne, ohne jedoch den anderen vor sich herzuschieben. Dies führt dazu, dass es manchmal aussieht, als würden sie die Seiten tauschen, nur um hinterher wieder auf ihre zuvor eingenommene Stelle zurückzukehren. Das kann zu sehr unzuverlässigem Combo- und Trefferverhalten führen.
Aber auch darüber hinaus fühlt sich der Nahkampf häufig staksig und nicht immer gut nachvollziehbar an. Treffer auf Block werden bspw. von einem eher wagen und platten Klang rückgemeldet, so dass es nicht ganz leicht fällt, die aktuelle Situation schnell einzuschätzen. Ähnlich verhält es sich bei sehr schweren Angriffen, wie Genjuros Schwertstreich mit vollem Körpereinsatz, der übrigens ebenfalls die oben erwähnten Hitbox-/Standort-Probleme mit sich bringt.
Diese Punkte führen dazu, dass sich SvC einfach nicht so professionell und geschliffen anfühlt, wie man es von SNK auch zu diese Zeit gewohnt war. Obwohl schon KoF01 und 02 vom koreanischen Eolith-Team und Samurai Shodown V ein Jahr später von Yuki entwickelt wurde, da SNK wegen ihrer Insolvenz kaum mehr in der Lage war, selbstständig Spiele zu programmieren. Das SvC-Projekt verursachte zusätzlichen Druck, da der Vertrag mit Capcom kurz vor dem Auslaufen stand, und sollte die bisherige Arbeit nicht umsonst gewesen sein, musste das Game schnell veröffentlicht werden. Mit diesem Hintergrund ist das Ergebnis durchaus respektabel, zumal man hervorheben kann, dass sowohl für die KoFs als auch die Samurai Shodowns dieser Zeit auf hervorragend funktionierende Vorgänger als Basis zurückgegriffen werden konnten, während SvC neue Wege ging.
Für diese Neuveröffentlichung wurde das Neo Geo-Original herangezogen und nicht die Konsolenfassungen (PS2 und Xbox) mit ihren kleinen Spielbalanceänderungen. Der Grund dafür ist, dass auf Turnieren und eben in Spielhallen nahezu ausschließlich eben diese ältere Fassung gespielt wird, auch wenn die Änderungen manches Mal seine Vorzüge hatten. Grundlegend unterscheiden sich die Versionen so oder so nicht. Die Onlineerfahrung funktioniert erwartungsgemäß sehr gut. Selbst über eher magere Verbindungen sind ordentliche Spielerfahrungen möglich. Ansonsten ist das Angebot der Modi überschaubar, aber das Wichtigste ist dabei. Immerhin eine rudimentäre Replayfunktion ist ebenfalls mit an Bord, was ja selbst heute nicht immer selbstverständlich ist. Zusätzlich gibt es einige Grafikoptionen (mit Scanlines) und eine Kunstgallerie mit den hervorragenden Zeichnungen (an die man allerdings nicht heranzoomen kann). Ein besonderes Schmankerl ist noch, dass man sich auf Wunsch die oft fragwürdig platzierten Hurt-, Hit- und Push-Boxen anzeigen lassen kann.
SNK selbst nahm sich, leider eben erst nach Auslauf des Vertrages mit Capcom, dem SvC-Konzept erneut an und unterwarf es den notwendigen Feinabstimmungen. Ohne Ryu und Ken, dafür aber mit vielen SNK-Gastauftritten erschien 2006 auf der Spielhallen-Hardware Atomiswave (wie zuvor KoF Neowave) der geistige Nachfolger Neo Geo Battle Colliseum. Ohne den Kult der SNK-eigenen Plattform und den Ikonen des ewigen Rivalen fehlte es diesem Titel allerdings sichtlich an Zugkraft. Zumal die Charakter-Sprites auf dem SvC-Niveau stagnierten, ohne die allzu Alten auszutauschen. Doch hier findet ihr erneut den GCFS in besser ausbalancierter Umgebung. Abgesehen von den genialen Gastcharakteren diverser Neo Geo-Titel ist Battle Colliseum also vor allem für die Fans des SNK vs Capcom-Kampfsystems interessant.
Heute kann man über viele Probleme von SNK vs Capcom sicher besser hinweg sehen, als noch 2003, als auf ein neues Premiumkampfspiel mit der Güte eines Garou, Street Fighter III oder zumindest Capcom vs SNK 2 gehofft wurde. Vor allem die klare Positionierung zum düsteren Stil und dem durchschlagskräftigen Spielelement Guard Cancel Front Step aber auch die einzigartig düstere Athmosphäre, machen SvC heute ganz besonders interessant. Wer ausgereifte und perfekt ausbalancierte Spiele zocken will, greift heute eh zu aktuellen Veröffentlichungen wie KoF XV, Samurai Shodown 2019, Guilty Gear Strive, Street Fighter 6 oder ähnlichen. Mehr Charakter und Nervenkitzel gibt es aber vielleicht eher hier.