Bereits Anfang der 1990er Jahre befand sich Atari auf dem Abstellgleis. Obwohl zunächst alle Experten der Atari ST Computerreihe einen Sieg auf dem hartumkämpften Homecomputermarkt voraussagten, setzte sich letztlich doch der Commodore-Konkurrent Amiga durch. Auch die IBM kompatiblen Rechner stellten längst nicht mehr die staubigen Bürohengste wie noch in den 80er Jahren, sondern mauserten sich in den Bereichen Spiele & Multimedia immer mehr zu echten Alternativen.
Als sich die Marktlage für die ST-Reihe zusehends verschlechterte und auch der technisch kräftige, aber letztlich nur halbherzig veröffentlichte Falcon keine Abhilfe mehr schaffte, suchte man nach einem neuen Geschäftsfeld. Die Videospielbranche verzeichnete zu Beginn der 90er enorme jährliche Umsatzgewinne. Und mit Konsolen erzielte man ja bereits große Erfolge, was allerdings schon über eine Dekade zurück lag. Trotzdem setzte man eine neue Marschrichtung: Zurück in die (erfolgreiche) Vergangenheit.
Was heute als völlig normal gesehen wird, steckte damals noch in den Kinderschuhen: echte 3D-Grafiken. Die bisherigen Marktführer konnten zwar einen entsprechenden Effekt mittels Zusatzchips auf Modulen erzeugen, doch richtige 3D Welten bot nur die passend zum Lynx (engl. Luchs) und Falcon (engl. Falke) Jaguar genannte Konsole. Atari erkannte aber nicht als einziger Hersteller die Faszination der Polygongrafik. Auch Trip Hawkins mit seiner Firma 3DO träumte den Traum einer mächtigen 3D-Konsole als neuen Standard und sicherte sich bereits die Unterstützung von großen Publishern wie z. B. Electronic Arts. Man kann nur spekulieren, aber hätte es die Zersplitterung des Marktes durch 3DO, Jaguar und Commodores Amiga CD32 nicht gegeben, hätte der Nischenmarkt eventuell ausgereicht, um dem Jaguar das Überleben zu sichern.
Jedenfalls geriet man bei Atari etwas in Panik, als Trip Hawkins wie ein eitler Pfau über Messen stolzierte und seine neue Wunderwaffe 3DO präsentierte. Folglich konzentrierte man alle Energie auf das Projekt Jaguar, um rechtzeitig vor dem Konkurrenten und zum lukrativen Weihnachtsgeschäft 1993 auf den Markt zu drängen. Und tatsächlich - das Vorhaben gelang. Die Überraschung war enorm, als Atari gegen Ende des Jahres 1993 über Nacht die fertige Jaguar Konsole der Öffentlichkeit vorstellte. Im Vorfeld gab man sich sehr wortkarg und ging erst zum Release im Testmarkt (New York und San Francisco) in die PR Offensive. Auch in der ansonsten sehr auf Nintendo & SEGA fixierten deutschen Presselandschaft war das Interesse plötzlich groß, sollte der Jaguar doch über einen unglaublichen 64-Bit-RISC Prozessor verfügen, und eine für damalige Verhältnisse verschwenderische 3D-Optik ermöglichen.
Bis der Jaguar dann im Herbst 1994 nach Deutschland kam, dauerte es fast ein ganzes Jahr. Zu lange - denn mittlerweile geisterten bereits Informationen über die neuen 32-Bit Wunderkonsolen von Sony und SEGA durch den Blätterwald. Zudem war die Spieleauswahl sehr begrenzt, gerade einmal 7 Spiele wurden zwischen November 1993 und Oktober 1994 releast. Erst durch eine außergerichtliche Einigung mit SEGA und einer daran geknüpften »Investition« der Japaner in Höhe von 60 Mio. US-Dollar erreichte man eine teilweise finanzielle Handlungsfähigkeit. Man nutzte die Gelegenheit und versuchte nun mit dem Jaguar verlorenen Boden aufzuholen, indem man am Preis schraubte. Im Gegensatz zur unsichtbaren PR in Deutschland fuhr man in den USA eine recht aggressive Linie und versuchte über Preissenkungen (teils fast bis zu 50%!) ein Bein auf den Boden zu bekommen. Doch die Verkäufe blieben zur Sorge der Unternehmensführung auch weiterhin hinter den Erwartungen zurück.
Werbung zur Jaguar-Preissenkung:
Im Falle Deutschland kamen noch die immer wiederkehrenden Vertriebsschwierigkeiten hinzu. Nachdem die langjährige deutsche Niederlassung in Raunheim ihre Pforten schließen musste, war man gezwungen auf externe Hilfe zu setzen. Doch die währte meist nicht lange. Etwa die Zusammenarbeit mit der Cosmo Entertainment Group, welche die deutschen Zügel als General Distributor lediglich für 7 Monate im Zeitraum März bis September 1995 in den Händen hielten. Das trug natürlich weiter zur Verunsicherung bei. Auch das kurz darauf veröffentlichte Jaguar CD konnte keinen Wendepunkte in der Geschäftsentwicklung markieren, lediglich 20.000 Einheiten wurden produziert.
Zuletzt verramschten Distributoren und Händler die hiesigen Restbestände des Jaguars palettenweise von einem holländischen Zentrallager aus. Weltweit dürften die Verkaufszahlen zwischen geschätzten 150.000 - 250.000 Konsolen liegen, offizielle Zahlen liegen nicht vor. Nachdem Atari im Juni 1996 mit dem Festplattenhersteller JTS fusionierte, bestand die Abteilung "Jaguar" nur noch aus einem Schreibtisch im Großraumbüro. Zwar hatte man die verunsicherte Fangemeinde damit getröstet, man werde auch weiterhin neue Software für Jaguar und Jaguar CD veröffentlichen, doch das Versprechen löste Atari selbst nie ein. Lediglich treue Dritthersteller wie Telegames versorgten den Jaguar auch zukünftig mit Software.
Wohl auch aus Frust daraus taten sich bald schon die ersten Teams begeisterter Jaguar-Fans zusammen, um in Eigenregie weitere Spieletitel (sog. »Homebrews«) zu entwickeln. Viele dieser meist in knapper Freizeit entwickelten Titel zeigen jedoch erstmals so richtig, wie viel bislang ungenutzte Power in der recht kompliziert programmierbaren Raubkatze schlummert.
Gerät/Module
Interessant ist der Blick ins Innere des Jaguars, denn das gesamte Mainboard liegt »hinter Gittern«. Ein abgeschlossener Eisenkäfig umgibt die Innereien der Raubkatze, so wie man es sich im örtlichen Zoo ebenfalls wünscht. Was die Anschlussvielfalt angeht, hat die 64-Bit Maschine nicht viel zu bieten. An der Front befinden sich 2 Controller Anschlüsse, auf der Rückseite sitzen Netzanschluss, Antennenanschluss und 2 Steckplätze der Platine, die aus dem Gehäuse ragen. An einer Stelle kann das RGB Kabel angeschlossen werden, der andere Steckplatz, DSP genannt, dient für den Anschluss des Jag-Link Kabels oder des ursprünglich geplanten Modems. Eine einfache Möglichkeit zu erkennen, ob es sich bei einem Jaguar um ein NTSC oder ein PAL Gerät handelt bietet die LED über dem Power Schalter. Bei NTSC Geräten leuchtet sie rot, bei PAL Geräten grün. Das macht es einfacher die beiden Versionen auseinanderzuhalten. Die Konsole kam in einer schwarzen OVP, mit dem charakteristischen »Jaguar« Schriftzug und den Augen einer Raubkatze. Zu damaligen Zeiten war dieses Design ungewohnt, denn normalerweise zeigten die OVPs aus den 90ern noch die Hardware auf den Kartons. Der prägnante und sehr auffällige Schriftzug jedoch macht optisch einiges her, auch hier kann Atari kein Marketingfehler vorgeworfen werden.
Zubehör
Ein absolutes Must-Have ist dabei sicherlich der Pro Controller. Das im Original nicht optimal gelungene Pad wurde überarbeitet und mit 6 Buttons + 2 Schultertasten ausgestattet. Das hakelige Steuerkreuz des Originals tauschte Atari gegen ein weiches und präzises D-Pad aus. Der Jaguar Besitzer sollte zudem über die Anschaffung eines RGB-Kabels nachdenken, denn mit dem beiliegenden Antennenkabel kommen höchstens Erinnerungen an alte VCS Sessions vor dem 80er Jahre TV wieder hoch. Leider sind die RGB-Kabels recht selten und begehrt, so dass sich die Preise recht hoch ansiedeln. Mit ein wenig Geschick kann aber ein RGB-Kabels selbst gebastelt werden.
Experimentell und vor allem interessant gestaltet es sich beim wohl ambitioniertesten Zubehör-Projekt, welches nicht mehr das Licht der Welt erblickte - das VR-Headset. Mit dem VR-Headset wollte Atari den Wunsch der Spieler nach „Virtual Reality“ erfüllen, DAS Zauberwort der 90er Jahre. Leider führten Ataris finanzielle Schwierigkeiten dazu, dass der Entwickler Virtuality nicht mehr weiter bezahlt und die Entwicklung eingestellt wurde. 2 Prototypen haben jedoch überlebt und befinden sich in Sammlerhänden. Auf dem E-Jagfest 2009 in Kaarst konnte es jedoch angespielt werden. Einen ausführlichen Hands-On Bericht findet ihr ebenfalls bei neXGam. Ein weiteres interessantes Zubehör stellt das Voice Modem dar, welches es ermöglicht über die Telefonleitung einen anderen Jaguar anzuwählen und quasi „online“ gegen einen Gegner anzutreten. Einige Prototypen von diesem Modem überlebten die Säuberungsaktion der Atari Headquarters und machen nun die Runde in Sammlerkreisen. Interessanterweise unterstützt das Spiel Ultra Vortek das Voice Modem. Durch einen Cheat im Hauptmenü schaltet ihr das Connection Menü für das Voice Modem frei.
Technische Details
Hier noch die technischen Details des Atari Jaguar:
Maße: | 260 x 240 x 50 mm (Länge x Breite x Höhe) |
CPU: | Motorola MC68000 16-Bit CISC |
Taktfrequenz: | 13.3 MHz |
RAM: | 2 MByte |
Grafikchip: | 64-Bit RISC (Codename: TOM) |
Auflösung: | 640x480 |
Farbpalette und -tiefe: | 16,7 Mio. Farben bei bis zu 24 Bit Farbtiefe |
Ports: | 2 Joystick Ports, 1 Modulschacht, Power In, AV Out |
Sound: | 32-Bit Stereo (Codename JERRY) |
Der Jaguar nimmt in meiner persönlichen Favoritenliste eine Sonderstellung ein. Bereits zum Release 1994 habe ich dank eines finanzkräftigen Freundes die Gelegenheit gehabt Ataris 64-Bit Angriff zu testen und war als Atari-Fan der ersten Stunde sofort angetan, nicht zurletzt weil wir im Vorfeld fleißig Fachmagazine studiert hatten und somit Fehlkäufe ausblieben. Mit einem Startpaket aus Tempest 2000, Alien vs. Predator und Cybermorph hatten wir mächtig Spaß. die Liebe zur Raubkatze riss bis heute nicht ab und so wird auch jetzt noch fleißig jedes Spiel und Zubehör für Ataris letzten Kraftakt gesammelt.