Sleeping Dogs im Test

Bevor wir uns dieser existenziellen Frage widmen, möchte ich ein wenig auf den Werdegang des Spiels zurückblicken. Denn Sleeping Dogs war nicht immer das neue Open World Spiel, welches Square-Enix im Ärmel hatte. Anfangs war das Spiel als Next-Gen Nachfolger der durchwachsenen True Crime-Reihe von Activision konzipiert. Nach den schlechten Verkaufszahlen von True Crime New York City verwarf Activision den Gedanken an ein drittes Spiel der Reihe wieder. Dafür ließ man das neu gegründetete Studio United Front Games an einer gänzlich neuen IP arbeiten. Diese sollte auch eine offene Spielwelt bieten und dem Genrekönig aus dem Hause Rockstar Games die Show stehlen, oder zumindest ebenbürtig sein. Mit voranschreitender Entwicklung entschied man sich bei Activision widerum anders und kündigte das Spiel doch unter der True Crime Marke als True Crime: Hong Kong im Rahmen der Spike Video Game Awards 2009 an.

Nach einem netten Trailer folgte lange Zeit Stille, bis Activision das Spiel letztendlich einstampfte. Begründet wurde die Entscheidung durch ein zu großes Budget, viele Verzögerungen und dem Nichterreichen des Anspruchs, welchen der Publisher dem Entwicklerstudio aufbot. United Front Games waren natürlich ganz und gar nicht begeistert und suchten sich prompt einen neuen Publisher: Square-Enix. Die Japaner kauften die Rechte an dem Spiel von Activision-Blizzard und gaben dem Kind einen neuen Namen: Sleeping Dogs.
 

Schlafende Hunde soll man nicht wecken, besagt ein Sprichwort. Wei Shen, Cop im Dienste des Hong Kong Police Department (kurz: HKPD), entschließt sich, dem Ganzen einen Versuch zu geben und schleust sich nach einem vermeintlich geplatzen Drogen Deal bei den Triaden ein. Seine Aufgabe ist klar: als Undercover Cop soll er das Verbrechersyndikat infiltieren und die Red Pole, die Bosse der Sun On Yee Traiden, hinter Schloss und Riegel bringen. Doch wie man es aus anderen Hong Kong Streifen wie z. B. Infernal Affairs kennt, verläuft der Einsatz anders als geplant und Wei sieht sich schnell zwischen den Fronten. Als auch noch die Geschehnisse, als Cop und als Gangster, außer Kontrolle geraten, wird er in einen Strudel der Gewalt gezogen, der gefährlicher nicht sein kann. Dabei wird die Story sehr cineastisch erzählt und wurde sehr durch Filme wie das oben genannte Infernal Affairs inspiriert. Asia Cineasten kommen hier ganz auf ihre Kosten.

Während der gesamten Spielzeit muss Wei Aufträge für die Polizei, sowie die Triaden erledigen. Dabei überwiegen die Missionen für die Mafia und treiben die Geschichte spannend und mit vielen Cliffhangern weiter. Zwischen den Story Missionen können dutzende Nebenaufgaben erledigt werden. Dabei zeigt sich Sleeping Dogs sehr variantenreich. Neben normalen Hol- und Bringdiensten (sog. Gefälligkeiten), könnt ihr Rennen bestreiten, Frauen daten, Drogenrazzien durchführen oder diverse Minispiele spielen. Hong Kong hat einiges zu bieten und wird euch 20 und mehr Stunden unterhalten. Ich selbst habe allein für die Story 18 Stunden gebraucht. Top!
 

Neben der sehr gut erzählten und inszenierten Handlung hat das neue Open World Spiel noch weitaus mehr zu bieten. Da hätten wir zum Beispiel das Gameplay. Anders als bei GTA  Saints Row und Co. kämpft ihr einen Großteil des Spiels waffenlos gegen eure Feinde. In einem Spiel, das in China spielt und einen chinesischen Hauptcharakter bietet, gar nicht so abwägig. Dabei erinnert das Kampfsystem an Rocksteadys Batman Arkham Asylum und Arkham City, ist aber weitaus stärker auf Konter ausgelegt. Wer hier nicht das richtige Timing an den Tag legt, wird sehr oft die dreckigen Straßen Hong Kongs küssen.

Und das kann vor allem in den ersten Stunden zu einer wahren Geduldsprobe werden, da ihr ohne viele Moves und "underpowered" (wie die Amis sagen) anfangt. Sofort steht ihr mehreren Feinden gegenüber, die euch aggressiv angreifen und auf die Bretter schicken. Da der Nahkampf aber einen sehr großen Teil des Spiels ausmacht, müsst ihr hier tapfer sein und die Zähne zusammenbeißen. Sonst entgeht euch ein wunderbares Spiel. Im Spielverlauf findet ihr an diversen Schauplätzen verschiedene Statuen, die ihr in einem Dojo abgeben müsst. Als Gegenleistung erlernt ihr dort verschiedene Moves, die euch das Leben leichter machen. Zudem finden sich in der Stadt blnckende Schreine. Betet ihr an diesen, erhöht sich eure Energie. In Kombination mit dem richtigen Timing und harten Moves besteht ihr dann auch gegen die mächtigsten Gegner, was das Spiel zu einem anspruchsvollen Brawler macht.
 

Natürlich tragen Gangster auch in China Kanonen mit sich herum. Und so gibt es vermehrt Schießereien, die sehr gut gemacht sind. Mit einer Waffe in der Hand könnt ihr hinter verschiedenen Dingen Deckung suchen. So könnt ihr eure Gegner aufs Korn nehmen und durchlöchern, was vor allem soundtechnisch sehr brachial rüberkommt. Auf Knopfdruck könnt ihr in Zeitlupe über eure Deckung hechten und die Gegner in aller Ruhe unter Beschuss nehmen. Max Payne lässt grüßen. 

Daneben gibt es noch Verfolgungs-Sequenzen, wo ihr zu Fuß einem Gegner hinterherjagt. Im Lauf müsst ihr per A-Knopf über Tische springen, Wände erklettern oder Zäune überspringen. Auch diese Abschnitte funktionieren glücklicherweise hervorragend. Last but not least wären da die Autofahrten. Hasste ich das Autofahren mit Niko Bellic aufgrund der schwammigen Steuerung, konnte ich bei Sleeping Dogs nicht genug davon kriegen. Das Fahrverhalten ist sehr arcadelastig und gekonnt umgesetzt. Zwar ist die Physik nicht das Gelbe vom Ei (Autos fliegen z. B. wie Spielzeuge bei starker Karambolage), aber die Steuerung ist direkt und präzise. So macht Autofahren in einem Open Word Spiel Spaß! Und da die Missionen allesamt sehr abwechslungsreich daherkommen und meist alle angesprochenen Gameplay-Facetten teils in einer einzigen Mission kombinieren, kommt über die gesamte Spieldauer keine Langeweile auf. Durch die stetige Entwicklung des Charakters wird man bis zum Ende motiviert, alles aus dem Spiel herauszuholen. Wi Shens Hong Kong Einsatz ist ein "Ah, eine Mission mache ich noch"-Spiel, denn ehe man sich versieht, ist eine ganze Stunde um.
 

Dass das Spiel euch so in den Bann zieht, liegt nicht minder an der tollen Präsentation. Dabei ist die Grafik zwar ein zweischneidiges Schwert, besticht aber durch tolle Charaktermodelle und eine authentische und lebendige Stadt. Die Atmosphäre, die daruch erzeugt wird, ist großartig. Ich finde Hong Kong lebendiger und authentischer als andere Städte in diversen Open World Spielen der Konkurrenz. Die Texturen gehen weitesgehend in Ordnung und sehen von Nahem auch sehr gut aus. Leider werden entfernte Gegenstände und auch Gebäude verwaschen dargestellt und gewinnen erst beim Näherkommen an Schärfe und Texturqualität. Zumal leidet das Spiel an gelegentlichen Slowdowns und Pop-Ups, was sich meist beim Auto- oder Motorradfahren bemerkbar macht. Könnt ihr diese kleinen Schnitzer verschmerzen, erwartet euch bei Sleeping Dogs ein sehr gut aussehendes Spiel mit toller Atmosphäre.

Der Sound könnte nicht allen Spielern gefallen. Vor allem der Soundtrack besticht durch viele verschiedene Radiosender, richtet sich aber auch an die bereits angesprochenen Fans von chinesischen Filmen. Viele Songs und Sender sind in Originalsprache gehalten, was natürlich zur Stimmung beiträgt, aber nicht jedem gefallen wird. Die Ingame Sounds sind sehr gut und überzeugten mich vor allem in den Schusswechseln. On top gibt es eine professionelle englische Sprachausgabe, die den Kinoflair gekonnt unterstreicht.

Noch eine kleine Info am Rande: das Spiel ist hierzulande ab 18 Jahren erhältlich, aber geschnitten. Um die USK Freigabe zu bekommen, musste Square-Enix einige der Umgebungs-Kills rausnehmen, bzw. entschärfen. Im Gesamten halten sich die Cuts aber in Grenzen und trüben den Gesamteindruck nicht.