LittleBigPlanet im Test

PlayStation3
Dass Sony mit den PlayStation-Konsolen Geschichte geschrieben hat, ist hinreichend bekannt. Doch auch im Software-Bereich hat der japanische Elektronik-Konzern einige Meilensteine auf der Habenseite, die den Videospielmarkt nachhaltig beeinflussen sollten. SingStar und Buzz öffneten die freakige und verschlossene Konsolen-Subkultur erstmals notorischen Nichtzockern. Zwar war die PS2 längst in den Sphären des sogenannten Massenmarkts angelangt, doch sprachen diese "Spiele" gezielt Menschen an, die vorher noch nie einen Controller in der Hand hielten.
SingStar fungierte als Einstiegsdroge, sorgte dafür, dass sich bald die gesamte Familie - von der kleinen Schwester bis zur Schwiegermutter - vor Sonys Standheizung versammelte. Mit der PlayStation 3 wurden diese "Casual Gamer" wieder verprellt, zu teuer, zu groß, zu kompliziert war das neue Hardware-Flaggschiff. Sehr zur Freude Nintendos, die den gigantischen Markt der Gelegenheitsspieler mit Wii & Co. dankbar abschöpften. Mit LittleBigPlanet bemüht sich der britische Entwickler Media Molecule zu diesen kreativen Wurzeln zurückzufinden, eine unkonventionelle Spieleerfahrung für Jedermann zu bieten. Gelingt das Meisterstück, das der PlayStation 3 endlich zum Durchbruch verhelfen soll?




Mangelndes Selbstbewußtsein kann man den Machern also nicht vorwerfen, schließlich soll LittleBigPlanet nicht nur ein rundum gelungenes Videospiel abgeben - von denen die PS3 im Übrigen eine ganze Menge hat - sondern zum absolut krispen Sahne-Blockbuster mutieren. Sackboy in einer Ahnenreihe mit Sonic, Masterchief und Mario als Teil der immer währenden Videospiel-Walhalla? We will see... Charismatisch ist das kleine Sackgesicht ja. Aus biologisch abbaubarer Jute gefertigt, mit schwarzen Knopfaugen, im massentauglichen "Knuddel mich"-Look. Via Steuerkreuz lässt sich der Sackboy in unterschiedliche Gemütszustände versetzen, von Trauer und Wut, bis hin zu Freude und schon geisteskranker Euphorie ist alles möglich. Gleichzeitig kann man mit beiden Sticks die putzigen Gliedmaßen rumrudern und "versehentlich" im Gesicht des Sackboy-Mitspielers landen lassen.

Wer die drolligen kleinen Stofftiere nicht auf Anhieb sympathisch findet, der schubst wohl auch kleine Kinder auf dem Spielplatz um. Der Sackboy ist euer Avatar in der LittleBigPlanet Traumwelt. Ein wirkliches Setting, eine klassische Hintergrundstory? Fehlanzeige. LittleBigPlanet ist die Summe aller menschlichen Träume, eine Spielwiese zum Austoben und Erkunden - und natürlich liegt in der nebulösen Gedankenwelt auch das eigene Aussehen keinerlei Restriktionen. Euer Sackboy lässt sich frei dem eigenen Geschmack anpassen, angefangen bei der Kleidung, über die Farbgestaltung bis hin zu Gadgets wie Lesebrille und Astronautenhelm. Weitere Looks und Accessoires lassen sich in den Levels aufspüren oder via Download-Pack käuflich erwerben.




Seid ihr ausgehfertig, so sei zunächst ein Ausflug in die unter "Geschichte" aufgeführten mitgelieferten Levels empfohlen, um sich mit der Spielmechanik vertraut zu machen. Und das wird dem NES-Veteran ebenso bekannt vorkommen, wie der Nintendo DS-Göre. LittleBigPlanet ist im Prinzip ein klassisches 2D-Jump'n'Run, ihr bewegt euch hüpfenderweise von Links nach Rechts, sammelt fleißig Punkte und erreicht hoffentlich das Levelende, wo eure Verdienste in einer weltweiten Highscore-Liste verewigt werden.

Natürlich kann man mit dem Gameplay von Vorvorgestern im 21. Jahrhundert keinen Blumentopf mehr gewinnen, weshalb dem puristischen Spielfundament reichlich Zuckerguß gegönnt wurde. Zunächst einmal unterliegt das komplette Level-Interieur korrekten physikalischen Gesetzen, was dem rudimentären Spielprinzip eine ungeahnte Würze beschert. Hängt sich Sackboy an einen Schwamm, der per Schnur an der Decke befestigt wurde, so schwingt dieser frei nach Isaac Newton hin und her. Die Welten bestehen aus verschiedenen Bastel-Materialien wie Holz, Textilien, Pappe oder Styropor, sind bunt bekritzelt und kitschig dekoriert. LittleBigPlanet wirkt wie ein zum Leben erwachtes Kinderzimmer, wie ein interaktiver Heimwerkerkeller.


Zudem besitzen die Materialien unterschiedliches Gewicht, was eine Vielzahl von Spielereien ermöglicht,,, Erklimmt dank der Trägheit einer Holzwippe höhere Ebenen, beschwert mit Eisenkugeln eine Hebelvorrichtung, die eine Zugbrücke in Gang setzt oder rast auf einem Skateboard einen Abhang herunter. Dazu gesellen sich primitive Apparaturen und Maschinen. Springt auf ein Holzpferd, welches daraufhin wie von Geisterhand durch den Level fährt, reitet auf einer Raketen durch die Luft, weicht der rotierenden Krawatte eines Pappmache-Königs aus.

Desweiteren gibt es auch "schädliche" Materialen wie Dornen, Feuer oder giftiger Nebel, die bei Berührung unweigerlich zum virtuellen Tod führen. Dank großzügig im Level verteilter Rücksetzpunkte hält sich der Frustfaktor allerdings in Grenzen. Aus diesen Zutaten wurden verschiedenste Level gebastelt, die extrem abwechslungsreich gestaltet sind, auch wenn es stets lediglich darauf ankommt heil das Levelende zu erreichen. So cruised Sackboy im Lowrider durch die nächtliche Großstadt, sprengt ein mexikanisches Gefängnis oder flieht vor einem Zombie-Bulldozer.




Alle rund 50 Story-Levels lassen sich auch - online wie offline - mit bis zu vier Mitspielern absolvieren, was den Spielspaß nochmals merklich erhöht. Viele Schalter- und Schieberätsel sind sogar nur mit Teamwork zu schaffen. Für die hilfsbereiten Mitstreiter sind dann zusätzliche Kostüme und besondere Materialien drin. Letztere benötigt ihr für den mitgelieferten Level-Editor, dem Herzstück von LittleBigPlanet. Hier lassen sich mit wenigen Handgriffen eigene Welten erschaffen. Kurze Tutorial-Videos und Übungen führen in die ungewohnte LittleBigPlanet-Mechanik ein und erklären humorvoll die unterschiedlichen Werkzeuge und Funktionen.

Auch wenn die einzelnen Schritte leicht zu begreifen und schnell erlernt sind, so erfordert der Editor doch ein gewisses Maß an Einarbeitungszeit, ehe eindrucksvolle Levelarchitekturen aus dem Handgelenk geschüttelt werden. Zunächst wählt man ein Material samt geometrischer Form wie Quadrat oder Kreis und "malt" anschließend verschiedene Objekte in die Pampa. Die Kombination verschiedener Strukturen, die erklettert und erhüpft werden wollen, reichlich dekoriert mit Stickern und kleineres optischen Spielereien, lässt den finalen Eigenbau-Level Stück für Stück greifbar werden. Habt ihr euch mal verbastelt, so kann man das Geschehen auch jederzeit zu einem beliebigen Punkt zurückspulen.




Schließlich kann man die Spielstufe noch mit Elektronik und mechanischen Elementen pimpen, angefangen bei der eher rudimentären Hebeplattform, bis hin zum ausgewachsenen Mecha-Godzilla. Das zugrundeliegende Prinzip ist verblüffend einfach: zunächst bastelt man zwei oder mehrere Objekte, wählt anschließend eine Funktion aus, wie diese Objekte miteinander interagieren sollen und verbindet sie. Beispiel: Mithilfe geometrischer Grundfunktionen zeichnet man ein Holzstatue, anschließend aus modischer Wolle eine passende Fliege. Nun bewegt man die Fliege zum Hals der Statue und verbindet beide mit einem Dreh-Tool. Schließlich rotiert das exquisite Kleidungsstück um den Hals der Skulptur.

Auf diese Weise lassen sich auch mechanische "Gegner" erstellen. Zunächst wird aus Pappe & Co. der Körper kreiert, anschließend mit Mund, Auge und Nase verziert. Ein paar Räder unter der Kreatur erhöhen ihre Mobilität übrigens merklich. Tödliche Zacken an den Rändern sorgen zudem für eine gewisse Wehrhaftigkeit. Schließlich wird oben ein elektronisches Gehirn an eurer Schöpfung befestigt, die anschließend programmiert werden will. Soll sie Sackboy verfolgen oder eher vor ihm fliehen? Wie schnell soll sie sich bewegen? In welchem Radius soll sie auf das Jute-Kerlchen reagieren? Schließlich kann der Kampf 'Sackboy vs. Selfmade-Mutant' beginnen. Euer Frankenstein versucht das possierliche Sackmännchen mit den spitzen Dornen zu rammen, während ein beherzter Sprung auf das Robo-Gehirn das kümmerliche Dasein der Kreatur beendet. Da werden Erinnerungen an Gumba, Koopa & Co. wach!


Wie man sieht sind der eigenen Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Mit etwas Zeit und Fingerspitzengefühl lässt sich jede Vision in die Tat umsetzen. Da ist zwar für PC-User, die sich regelmäßig über professionelle Leveleditoren freuen dürfen, ein alter Hut, in der Konsolen-Welt aber bis dato ein Novum. Zudem versteckt sich sich der LittleBigPlanet-Editor nicht hinter kryptischen Funktionen, Zahlensalat und Tabellen sondern ermöglich leichtgängiges und intuitives Basteln. Sobald eure Kreation fertiggestellt ist, könnt ihr sie freigeben und auf die gigantische Online-Plattform LittleBigPlanets loslassen, wo sie ab sofort von Usern aus der ganzen Welt gezockt werden kann. Downloaden entfällt, statt dessen fallen nur gewöhnliche Ladezeiten an. Nach Abschluß des Levels könnt ihr ihn bewerten, auf Wunsch in der Favoriten-Liste speichern und eine knappe Umschreibung wie "kreativ", "schwer" oder "kurz" auswählen, anschließend wartet die nächste User-Welt auf Erkundung.

Es ist schier unglaublich was sich bereits an genialen Hausmacher-Ideen auf diesem Online-Spielplatz tummelt. Eine Tetris-Adaption, verschiedene Hommagen an US-Serien und Videospiel-Klassikern, Gladius-Raumgleiter, eine Weltkriegssimulation mit frei schwenkbaren und schießenden Panzern... Täglich kommen hunderte neuer Level hinzu. Zusammen mit drei Freunden neue Abenteuer zu erschließen machen die zweite große Säule der LittleBigPlanet-Faszination aus. Gemeinsam einen Raketenwagen zu besteigen um ein paar 100 Meter weiter planlos an der Wand zu zerschellen schweißt nicht nur zusammen, sondern ist auch enorm witzig. Solltet ihr ein Headset euer Eigen nennen, dann bewegt Sackboy sogar halbwegs synchron die Lippen zu euren gesprochenen Weisheiten. Es ist also nicht nötig einen auf Tim Taylor zu machen und eigene Levels zu entwerfen, um viel Spaß mit "LBP" zu haben. Media Molecules Vorzeige-Gehüpfe ist auch Zugang zu einem Online-Portal mit tausenden, teils absolut hochkarätigen Spielewelten, die vor allem mit mehreren Zockern ihre Faszination offenbaren. Noch nie gab es mehr "Umfang" für's Geld.




Die Präsentation passt sich in das stimmige Gesamtbild ein. Die Sackboys bilden in Symbiose mit der Baukastenwelt ein ungemein warmes, detailverliebtes Ganzes. Unterschiedliche Levelthemen wie Garten, Stadt, Wild West oder Halloween sorgen zudem für Abwechslung. Die zuvor erwähnten unterschiedlichen Bau- und Bastelmaterialien sind auf den ersten Blick als solche zu identifizieren. Schwamm wirkt wie Schwamm, Pappe wie Pappe, Leder wie Leder, alles scheint echt und haptisch greifbar. Einziger Wehrmutstropfen: Trotz der eher simplen Level-Geometrie läuft LittleBigPlanet nur in 720p. Mit etwas Feintuning wäre hier sicher auch Full HD-Auflösung drin gewesen. Der Soundtrack dudelt mal dezent, mal penetrant im Hintergrund vor sich hin und rekrutiert sich aus Ambient-Melodien und lizenzierten Songs. Im Leveleditor lässt sich die Mucke abwandeln und remixen, beispielsweise kann man den Gesang einfach herausfiltern. Extra Kudos hat sich der sympathische ältere Herr verdient, der die Funktionen des Editors erklärt und hauptberuflich scheinbar Märchenonkel ist.

Kai meint:

Kai

Sagenhaft! Mehr kann man aus einer Old School 2D-Mechanik wirklich nicht kitzeln. Selbst wenn man kein Faible für klassische Jump'n'Runs hat, ist LittleBigPlanet ein Pflichttitel für jeden PlayStation 3-Besitzer. Kreative Naturen verbringen Stunde um Stunde mit dem genialen Editor, alle anderen erleben vergnügliche Stunden bei geselligen Online-Hüpf-Sessions. Dennoch ist "LBP" nicht perfekt. So ist es nicht möglich eigene Textursets von der Festplatte zu importieren, man muss sich mit dem vorhandenen Sortiment begnügen. Abhilfe schafft hier die EyeToy-Kamera, deren Fotos man als Sticker verwenden kann, die Auflösung hält sich natürlich in Grenzen. Auch hätte ich mir im Editor eine stufenlose Zoomfunktion gewünscht. Oft ist der Kamerawinkel viel zu weit, als dass man noch präzise arbeiten könnte. Leider scheint Sony zudem Levels zu löschen, die in irgendeiner Weise Lizenzen und Rechte verletzten könnten. So wurden in jüngster Vergangenheit bereits Hommagen an bekannte Videospiele und TV-Shows gelöscht. Schade, ist es doch extrem lustig mal über die geheimnisvolle Insel aus LOST zu hüpfen. Notorische Einzelspieler ohne Internetzugang seien zudem gewarnt, ohne Multiplayer und User-Levels nutzt sich der kleine große Planet schnell ab.

Positiv

  • Genialer Online-Modus
  • Abertausende Levels
  • Liebevolle Knuddeloptik

Negativ

  • Eigene Texturen nur eingeschränkt möglich
  • Ohne Internet-Zugang nur bedingt sinnvoll
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Forum
  • von Darkshine:

    Ist die GotYE in Deutschland gar nicht erschienen?

  • von Skydancer:

    Sengaya schrieb: lohnt sich 13,50 Euro aufpreis für die GOTY-Edition? Ich würde sagen ja! Folgende DLCs sind mit drin: Metal Gear Solid Level Pack - mit der Paintball-Waffe "Paintinator"Metal Gear...

  • von Sengaya:

    lohnt sich 13,50 Euro aufpreis für die GOTY-Edition?

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LittleBigPlanet Daten
Genre -
Spieleranzahl 1 - 4
Regionalcode PAL
Auflösung / Hertz -
Onlinefunktion Ja
Verfügbarkeit 7. November 2008
Vermarkter Sony
Wertung 8.9
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