Welches Schlupfloch im deutschen Rechtssystem nutzen Indie-Games eigentlich? Diese Frage stellt man sich nach wenigen Sekunden in der Welt von Inflamous unweigerlich. Das Spiel beinhaltet viele Szenen, die bei einem regulären Release dazu führen würden, dass die zuständige Bundesprüfstelle eine ihrer gruseligen Indizierungslisten erweitert. Amokläufe am Arbeitsplatz, unschuldige Mordopfer, Räume voller verkohlter Leichen und weitere Grausamkeiten gibt es hier zu sehen. Die Aufmachung deutet zwar darauf hin, dass nichts davon ernst gemeint ist, doch solche Kleinigkeiten stören unsere Medienwächter ja normalerweise wenig. Glücklicherweise existiert Inflamous in der Grauzone der Independent-Szene, die offensichtlich außerhalb des Einflussbereichs unserer strengen Aufpasser liegt.
Wie bei fast allen Milkstone-Veröffentlichungen gibt es keine komplexe Story. Die Szene, die sich zu Beginn jedes der 50 Levels wiederholt, spricht für sich selbst. Ein unscheinbarer Büroangestellter verliert endgültig die Beherrschung. Der genaue Grund wird nicht genannt, aber wahrscheinlich ist es mal wieder ein Windows-Problem. Der Verlust jeglicher psychischer Sicherheitsmechanismen wird durch mehrfaches schnelles Drücken des A-Knopfes gestartet und von einem starken Wackeln des gesamten Bildes begleitet, was durchaus zur passenden Stimmung beiträgt. Sind die letzten Bedenken ausgeräumt, müssen alle Mitarbeiter so schnell wie möglich ausgeschaltet werden. Dafür steht aber kein komplettes Waffenarsenal zur Verfügung, sondern nur eine einzige beeindruckende Fähigkeit. Unser Hauptdarsteller kann, ähnlich wie der ´Splosion Man im gleichnamigen XBLA-Game, explodieren, ohne dabei selbst Schaden zu erleiden. Jede Figur, die sich im Radius dieser spontanen Energieentladung befindet, fängt sofort Feuer und läuft anschließend ein paar Sekunden panisch durch die Gegend, bevor sie ihr virtuelles Leben als gut durchgebratenes Grillgut aushaucht.
Inflamous vereint in seinem simplen Grundkonzept Elemente aus Action- und Puzzle-Games. Die Fähigkeiten des Protagonisten beschränken sich auf Explodieren, Laufen und zeitlich begrenztes schnelles Rennen. Für jedes der Levels ist eine eigene Online-Highscoreliste vorhanden, so dass die Zeit zum eigentlichen Gegner wird. Es geht immer darum, die schnellste Methode zu finden, um alles Leben im Büro auszulöschen. Zu Beginn ist dieses Ziel noch sehr leicht zu erreichen, doch besonders im letzten Drittel des Games zieht der Schwierigkeitsgrad ganz erheblich an. Die Opfer sind meistens gut auf dem Spielfeld verteilt, was das Entwickeln einer durchdachten Taktik erforderlich macht, um alle zu erwischen. Obwohl niemand aktiv angreift, entwickeln die Figuren im Laufe der Zeit ein paar gute Verteidigungsstrategien. Feuerwehrmänner stehen beispielsweise bereit, um in Brand gesetzte Personen zu löschen und Fahrstühle müssen deaktiviert werden, um zu verhindern, dass immer mehr Gegner auftauchen.
Ein Zeitlimit ist nicht vorgegeben, aber dennoch kann unser Antiheld scheitern. Obwohl ihm die eigenen Explosionen keinen Schaden zufügen, wirkt sich das Feuer, das schnell überall wütet, negativ auf die Lebensenergie aus. Ein intelligentes Spieldesign sorgt dafür, dass es trotz der begrenzten Aktionen unterschiedliche Möglichkeiten zur Lösung der Levels gibt. Nur wenige Explosionen können nacheinander ausgelöst werden, bevor unser frustrierter Schreibtischsklave nachtanken muss. Zu diesem Zweck steht in jedem der Levels, wie in guten Büros üblich, eine Zapfsäule bereit. Es existiert allerdings eine zweite, deutlich schnellere aber auch gefährlichere Möglichkeit zur Wiederherstellung der Macht. Der Aufenthalt in den Flammen gibt ebenfalls neue Power, lässt den Energiebalken aber rapide sinken.
Genau wie die früheren Veröffentlichungen von Milkstone bietet auch Inflamous ein leicht verständliches Gameplay und einen erstaunlichen Umfang für ein Game, das für gerade mal einen Euro erworben werden kann. Dennoch kann das explosive Spektakel nicht ganz mit seinen Ahnen mithalten. Zombie Football Carnage motiviert deutlich länger und Infinity Danger fordert mehr Fingerspitzengefühl. Dennoch bringt der Neuling ein paar Stunden Unterhaltung. Dafür sind auch die netten kleinen Extras, für die das Entwicklerteam inzwischen bekannt ist, verantwortlich. Freunde können zwar nicht im direkten Duell herausgefordert werden, aber auch ein Online-Punktevergleich kann Spaß machen. Wieder lassen sich inoffizielle Achievements sammeln, was echte Perfektionisten zu langen Sitzungen vor der Konsole veranlassen wird.
Inflamous ist ein sauber programmiertes Stück Software ohne Bugs und mit einer einfachen aber originellen Optik. Natürlich sind die Figuren nicht so aufwändig animiert, wie in XBLA-Games mit deutlich größerem Budget, aber im Indie-Sektor gehört die Brandstifter-Simulation zweifellos zu den grafischen Highlights. Die isometrische Perspektive, aus der die klopsigen Charaktere präsentiert werden, gewährt einen guten Überblick und die Feuereffekte sind durchaus nett anzusehen. Auch wenn sich die Schreie der gepeinigten Kollegen und die sonstigen Soundeffekte ständig wiederholen, passen sie gut zur humorvoll übertriebenen Brutalität, die im Mittelpunkt des Spiels steht. Die wenigen Musikstücke, die ebenfalls eher heiter als düster klingen, tragen zu einer netten Arcade-Atmosphäre bei.
Inflamous ist ein nettes Spiel für zwischendurch, das besonders in den ersten Stunden eine Menge Spaß bringt. Allerdings geht dem Indie-Titel danach schnell die Puste aus. Diesmal ist den Milkstone Studios der Spagat zwischen intuitivem Gameplay und Langzeitmotivation nicht ganz so gut gelungen, wie bei früheren Veröffentlichungen. Auch der sprunghaft ansteigende Schwierigkeitsgrad, der sich ab der Hälfte der Levels bemerkbar macht, dürfte einen Großteil der Independent-Fans vom Durchzocken abhalten. Unsere neXGam-Empfehlung erhält Inflamous aber trotzdem, denn in der 80-MS-Points-Kategorie gibt es nur sehr wenig Software, die mit dem Puzzle- und Action-Feuerwerk mithalten können.