Dust - A Tale of the Wired West im Test

Herausgekommen ist ein Klassiker, der auch heute noch wie damals fesselt: Als Fremder ohne Vorgeschichte erreicht ihr im Jahr 1882 das kleine Nest Diamondback, New Mexico. Der Empfang ist eher der ruppigen Sorte, Fremde sind in diesen Breitengraden ungern gesehen. Da das Kaff mit seinen 248 Einwohnern aber ohnehin nur ein Zwischenstopp auf eurem Weg ist, macht ihr euch gleichgültig daran hier die nächsten Tage bis zur Weiterfahrt zu überbrücken. Womit ihr in ein fesselndes Abenteuer schlittert...

Dust - A Tale of the Wired West lässt sich am besten als ein Adventure beschreiben, obwohl diese Genrezuordnung nicht treffend ist. Denn ebenso beinhaltet das Westernabenteuer Action-Sequenzen und einen gehörigen Anteil Simulation. Simuliert wird beispielsweise der Alltag in der kleinen Stadt - je nach Tageszeit haben andere Örtlichkeiten geöffnet und Bewohner wandern in dem Ort umher, um ihre Einkäufe zu erledigen. Die beste Gelegenheit also sie für ein Schwätzchen abzufangen. Wobei die Einwohner nach und nach immer wildere Verstrickungen und Skandale innerhalb der Kleinstadt preisgeben - vom Selbstmord des Sheriffs über den Banditen »The Kid« his hin zu einer legendären Silbermine in der Nähe.

Alle Unterhaltungen laufen dabei per Multiple Choice Verfahren und sind nicht linear aufgebaut. Das heißt, statt einer Person ein wichtiges Item abzuschwatzen, kann es auch vorkommen, dass sie nach einer Beleidigung eurerseits euch den Rücken zuwenden und euch einfach stehen lassen. Dies bedeutet aber nicht zwangsläufig das Ende, denn vielfach lässt sich der Gegenstand noch auf eine andere Art und Weise heranschaffen - ein bisschen Kreativität ist hier gefragt.

Dust - A Tale of the Wired West bietet trotz seines mittlerweile gesegneten Alters eine erstaunlich große spielerische Freiheit, von der sich viele gegenwärtige Titel eine dicke Scheibe abschneiden könnten. Wer sich bei Fable - The Lost Chapters über die oft allzu offensichtlichen Begrenzungen ärgerte, der wird hier staunend erleben, wie geschickt man trotz damaliger technischer Limitationen eine sichtbare Grenzziehung für den Spieler vermeiden kann.

Zurück zum Abenteuer: Auch wenn sich der Spielverlauf immer etwas anders gestaltet, so bleibt eine Sache doch erhalten - die sporadisch eingestreuten Action-Sequenzen. Neben einem Faustkampf dürft ihr euch natürlich ebenso Schießereien aus der Ego-Perspektive liefern, sofern ihr selbstverständlich erstmal einen Colt und Munition aufgabeltet. Bis dahin gilt es sich eher zurückhaltend zu zeigen, denn sonst endet das Abenteuer Wilder Western mitunter recht rasch in einem Holzsarg. Ohnehin gibt es so einige Möglichkeiten ins Gras zu beißen, weshalb es sich anbietet, das jederzeit zugängliche Speichermenü auch zu nutzen und regelmäßig den eigenen Fortschritt festzuhalten.

Erwähnung verdient unbedingt auch noch die im Spiel geschickt verpackte Hilfefunktion in Form des chinesischen Einwanderers »Help«. Der hilft euch schon mal mit Tipps weiter, wenn ihr längere Zeit an einer bestimmten Aufgabe wie z. B. den zahlreichen Rätseln zu knabbern habt. Dies ist aber so geschickt in den Spielablauf integriert, dass es die Atmosphäre nicht zerstört. Und die ist wirklich gelungen. Allein wer beim ersten Mal den Saloon betritt, um dann unter typischen Klaviergeklimper bei eingebauten Minispielen wie Black Jack, Poker oder am Einarmigen Banditen einige Dollar zu gewinnen, um seine Ausgaben decken zu können, wird begeistert sein. Zwar lässt sich das Abenteuer mit etwas gutem Willen bereits in ca. 10 Stunden beenden, bis dahin ist die Motivation aber ungemein hoch - und nach dem fünften Tag in Diamondback wünscht man sich sehnlichst ein Remake von Dust mit den heutigen technischen Möglichkeiten herbei.

Denn trotz seines unverwüstlichen Gameplays zählt Dust mittlerweile zum alten Westen: Die 256 Farben Kulisse des Städtchens mitsamt seinen pixeligen Einwohnern macht optisch zunächst nicht viel her. Auch die per Motion-Capturing abgefilmten 35 Charaktere erinnern mit ihrer seltsamen Mimik wie Gestik eher unfreiwillig an B-Movie Akteure, haben aber durchaus ihren Charme. Ein Hindernis für deutsche Cowboys ist allerdings die Sprachausgabe, denn Dust bietet ausschließlich Englisch als Spielsprache. Und auch noch ein Englisch, dass jedem Anglisten ein Freudestrahlen auf die Backen treibt. Vollkommen dem historischen Vorbild entsprechend, dröhnt hier ein recht südstaatlich geprägter Slang aus den Lautsprechern, der die Einblendung von Untertiteln unumgänglich macht - es sei denn, ihr seid im ländlichen Oklahoma aufgewachsen.

Dass sich die Macher dabei selbst nicht so ernst nahmen, spiegeln übrigens zahlreiche geschickte Anspielungen wieder, die allerdings garantiert nicht von jedem auf Anhieb verstanden werden. Die Doktorin der Kleinstadt namens »H. Rodham« ließ diesen Autor beispielsweise zunächst rätseln, woher er denn das Gesicht kenne. Ehe durch Seitenhiebe auf einen gewissen »Bill« klar wurde, dass hier niemand Geringeres als die Ex US-Präsidentengattin Hillary Clinton unter ihrem Mädchennamen praktiziert. Weitere Anspielungen inklusive.

Wer sich jetzt fragt, wie er den alten Klassiker noch auf seinem neuen MacBook Pro mit OS X Leopard zum laufen bringt, dem wird vermutlich  nur der Mac Classic Emulator »Sheepshaver« weiterhelfen können. Glücklicher sind hingegen diejenigen unter euch, die wie dieser Autor noch einen nativ OS 9 bootenden Apfel-Rechner daheim stehen haben, denn Dust - A Tale of the Wired West läuft problemlos unter OS 9.2.2. Nur der virtuelle Speicher muss vor Spielbeginn über das Kontrollfeld deaktiviert werden, ebenso sollte der Monitor auf 256 Farben zurückgesetzt werden. Danach funktioniert es prima. Dust ist allerdings ohnehin nicht anspruchsvoll und läuft selbst auf alten Performa Modellen bis hinunter zu System 6.0.7 und benötigt nur eine 68030er CPU und 8 MB RAM als absolutes Minimum.