Die nicht vorhandene Kunstdefinition definieren
Der Kunstbegriff ist schwer zu definieren. Dies ist jedoch notwendig, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Natürlich gibt es verschiedenen Möglichkeiten, an so eine Begriffsbestimmung heranzugehen. Man kann das Ganze z. B. philosophisch, oder geschichtlich betrachten. Das Beste wäre wohl aus allen gegebenen Möglichkeiten die Gemeinsamkeiten zu filtern und dadurch eine Gültigkeit zu entwickeln. In vier Punkten werde ich nun einen Kunstbegriff formen und Videospiele und anerkannte Künstler gegenüberstellen. Und ja! Ich wage es, Videospiel mit bekannten Kunstwerken zu vergleichen. Hasst mich dafür.
Zuerst einmal sollte man feststellen, dass verschiedene Kunstepochen verschiedene Ansichten zu Kunst haben. Damit der Artikel nicht zu ausgiebig oder sogar zu „uninteressant“ wird, sei nur kurz erwähnt, dass sich seit der altertümlichen Malerei der Kunstbegriff stark wandelte. Vom Selbstverständnis der Künstler als Handwerker und einer technischen Perfektion zum realen Abbild der Welt hat die Kunst viele Schritte durchlaufen. In der Moderne änderte sich die Ansicht drastisch. Es wird mehr Wert auf die Gefühle und das Empfinden des Betrachters, Lesers und Zuhörers gelegt. Als ein modernes Medium sollte man deshalb Videospiele auch mit dem modernen Kunstempfinden vergleichen.
In der modernen Kunst wird dem Rezipienten eine größere Bedeutung zugerechnet. Kunstwerke zeichnen sich dadurch aus, dass die Atmosphäre oder der Ausdruck der Kunst einen höheren Stellenwert erlangt. Das Auflösen von Form und Farben wird zur grundlegenden Vorrausetzung und dem Empfinden unterworfen. Wobei wir schon beim ersten direkten Vergleich zwischen anerkanntem Künstler und Videospiel wären. Wassily Kandinsky änderte das geometrische Verständnis der Malerei so weit, dass zuerst keine klare Struktur von Form und Farben mehr erkennbar ist. Versteht man aber, dass Kandinsky in seinen Werken den Formen Eigenschaften und den Farben Klängen zuordnet, erkennt man eine gewisse Ordnung innerhalb der Gemälde. So ist es möglich, Gefühle im Betrachter hervorzurufen.
Ein Spiel, das eindeutig und bekannterweise von Kandinsky inspiriert wurde, ist das geniale Meisterwerk Rez. Auch Rez bedient sich abstrakter Formen und Farben sowie der musikalischen Beeinflussung. Wird im weiteren Spielverlauf durch das Erzielen von Abschüssen die elektronische Musik komplexer, so entwickeln sich komplexere Figuren und Formen in der Spielewelt. Eine fast schon perfekte Hommage an den großen Künstler.


Eine direkte Inspirationsquelle. Kandinskys Werke trugen maßgeblich zu Entwicklung des Kultspiels bei
Aber das ist nur ein Beispiel für meine Argumentation. Ich versuche damit klarzumachen, dass die moderne Kunst sich dadurch auszeichnet, Gefühle und Emotionen zu vermitteln. Dabei ist es egal, ob diese Empfindungen positiv oder negativ für den Rezipienten sind. Man kann auch andere Beispiele nennen. Ob das nun ein Legend of Zelda ist, das den kindlichen Entdeckertrieb weckt oder ein Resident Evil, welches Furcht und Schrecken im Spielern hervorruft. Die sinnliche Wahrnehmung ist von großer Bedeutung. Das Ziel der Künstler: zu erreichen, zu berühren, Emotionen aufzuwühlen.
Punkt 2: Die Intention
Natürlich muss Kunst auch etwas aussagen, sonst wäre der Sinn fraglich und Kunst nur auf dem Niveau schlechter Groschenromane. Kunst hat eine Aussage, gute Kunst hat mehrere Aussagen. Oftmals ist es jedoch so, dass die genaue Aussage der Künstler zuerst im Verborgenen bleibt. Grundkenntnisse über das Leben und den Charakter der Künstler ist teilweise notwendig. Sieht man sich Remedys Alan Wake an, so wirkt die Story um den gleichnamigen Autor für den Spieler als eine einzige Hommage an die großen Autoren des 20. Jahrhunderts. Ist einem anderseits bewusst, dass Sam Lake eine andauernde Schreibblockade hatte, wird die Story um den Protagonisten Alan Wake, der unter selbigen leidet, auf einmal vielschichtiger.
Hintergrundwissen ist dennoch nicht immer notwendig, um die Intentionen hinter einigen Titeln zu verstehen. Fumito Uedas Werke verlangen nicht notwendigerweise grundlegendes Wissen über den Entwickler. Viel besser transportieren diese Werke die gewollte Botschaft, indem der Spieler selber / persönlich angesprochen wird. Shadow of the Colossus lebt davon, dass der Spieler sich selber die Frage stellt, ob der Sinn seiner Handlungen gut und notwendig ist. Der Entwickler versteckt sich hinter der Erfahrung des Spielers.

Auf den ersten Blick eine normale Geschichte, bekommt Alan Wake durch Hintergrundwissen eine persönliche Note des Autor Sam Lake
Kunst zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Rezipienten damit beschäftigen. Es ist sogar eine gewisse Anstrengung erforderlich beim Erkennen, Betrachten, Erleben des Kunstwerkes, damit überhaupt erst der „Spaß“ an der Kunst entsteht.
Punkt 3: Die Idee / die Einzigartigkeit
Man kann natürlich auch behaupten, alles sei Kunst. Jedoch würde man dadurch den Kunstwerken ihre Einzigartigkeit und damit ihrer ursprünglichen Idee berauben. Würde jährlich ein Cover des berühmten Queen Hits „Bohemian Rhapsody‘s“ aufgelegt werden, wäre die Intensität des ursprünglichen Werkes längst verloren. Oder sei es Duchamps „Fountain“. Wird dieses Werk doch als große Kunst bezeichnet, so ist jeder weiterer Versuch ein Pissoir als Kunst zu verkaufen zum Scheitern verurteilt.
Niemand kommt auf den Gedanken jährlich erscheinende Sportspiele, die nur ein Update der Vorjahresversion sind, einen künstlerischen Wert zuzusprechen. Nimmt man dazu im Vergleich etwa Heavy Rain, ein Spiel, dessen Storytelling und Gameplay in seiner Form bisher einzigartig ist, erkennt man die Besonderheit. Die Idee hinter Heavy Rain ist eindeutig. Das Entwicklerteam von Quantic Dreams legte viel Wert auf eine intensive Erfahrung im Spielverlauf. Dies wird unter anderem durch eine Story entwickelt, die es so zwar schon in Filmen & Literatur zu finden gibt, die jedoch in Video Games noch neu ist. Weiterhin ist das bisher neuartige und einzigartige Gameplay, mit dem die Anstrengung und Intensität des Protagonisten auf den Spieler übertragen wird, in dieser Form nur bei Heavy Rain zu finden.


Duchamps „Fountain“ und Heavy Rain überzeugen durch ihre Idee und Einzigartigkeit. Durch die Idee werden diese Werke erst zu großer Kunst.
Natürlich könnte man auch behaupten, selbst dies würde die Bezeichnung Kunst in Videospielen nicht rechtfertigen, da mehrere Personen an einem Projekt arbeiten, die das Projekt beeinflussen können. Zumal das Ziel ein kommerzieller Verkauf ist. Dabei sollte man aber wissen, dass zum einen Andy Warhol, der wohl berühmteste Künstler der Moderne, seine spätere Werke im Siebdruckverfahren herstellte und somit kommerziell vertreiben konnte und er wie Peter Paul Rubens große Werkstätten mit vielen Angestellten betrieb, in denen zwar ihre Ideen umgesetzt wurden, selber aber nur noch selten Hand an den Werken angelegt wurden. Für Warhol war es nicht mehr wichtig, wer die Idee umsetzt, sondern dass es die Idee überhaupt gibt. Es kommt auf die Idee an, die Idee macht die Kunst aus, die Idee trägt die Kunst in sich.
Doch der wichtigste Faktor, der die Kunst definiert, ist der Rezipient selber.
Punkt 4: Der Rezipient
Der Punkt, an dem der Begriff Kunst scheitert oder besteht, ist der Rezipient: der Betrachter, Leser, Zuhörer, der Spieler. In anderen Worten: WIR .
Durch den Betrachter wird die Kunst erst belebt. Durch sein Empfinden wird das Bild belebt, durch sein Verständnis und seine Erfahrung interpretiert und durch den Rezipienten erhält die Idee ihre Einzigartigkeit. „Die Kunst liegt im Auge des Betrachters“ ist nicht nur eine Floskel, sondern die essentielle Bedeutung. Allein durch den Betrachter steht und fällt ein Kunstwerk. Jedoch ist ein gewisses Interesse, Begeisterung und Aufmerksamkeit nötig, um die Kunst hinter den Werken zu verstehen. Leider wird das von vielen Spielern weder erkannt noch verstanden. Dadurch wird dem Medium Spiel eine interessante und vielleicht notwendige Grundlage genommen.
Nachdem ich nun definierte und erläuterte, dass Videospiele den Charakter von Kunst und Kunstwerken besitzen, stellt sich folglich die Frage: Welche Spiele entsprechen der Definition? Im Folgenden habe ich vier Kategorien entwickelt, in die man Videospiele jeglicher Art einteilen kann.

