[Buch] Copyright exisitiert nicht - Hackerkultur und Leitbild der Szene

Review 1

Hacker? Sind das nicht diese gefährlichen Kriminellen, die gerade Sony beklaut haben und demnächst mit unseren Kreditkarten waffenfähiges Plutonium kaufen werden, um den Planeten in Schutt und Asche zu legen? Diese Annahme liegt zumindest nicht fern, wenn der wenig professionellen Berichterstattung in der Boulevard-Presse und den Aussagen von Firmenvertretern Glauben geschenkt wird. Linus Walleij, der Autor von “Copyright existiert nicht“, belehrt uns eines Besseren. Sein Buch beschreibt eindrucksvoll, wie begnadete Bastler, unpolitische Spaßvögel mit Computerkenntnissen und technisch begabte Systemkritiker unsere moderne Informationsgesellschaft in den letzten Jahrzehnten mitgeprägt haben.

Der 1972 geborene schwedische Autor war nicht anwesend, als die Hackerkultur geboren wurde. Bereits in den 50er Jahren manipulierten Studenten des Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Computersteuerung von Modelleisenbahnen. Wenig später stürzte sich die Gruppe dann auf die Großrechner der Universität, um herauszufinden, ob die damals hochmodernen und extrem teuren Maschinen eventuell mehr konnten, als in ihren Anleitungen stand. Das Buch ist voll von solchen interessanten Anekdoten. Kaum zu glauben aber dennoch wahr ist beispielsweise die Geschichte des blinden Amerikaners Joe Engressia, der über ein perfektes Gehör verfügte und dank dieser besonderen Gabe zum sogenannten Phreaker, einer speziellen Form des Hackers, wurde. Einen Computer benötigte er nicht, denn Mister Engressia war dazu in der Lage, durch das Pfeifen eines Tons von exakt 2600 Hertz die elektronische Telefonvermittlung auszutricksen und anschließend umsonst zu telefonieren.

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Für Linus Walleji selbst begann der Einstieg in die Szene mit dem legendären Heimcomputer Commodore 64. Einige unserer älteren Leserinnen und Leser werden sich sicherlich noch an die goldene Ära der 80er Jahre erinnern, als in jeder großen Pause Computerspiele auf Floppydisks getauscht wurden. Diverse Gruppen von Crackern, versorgten damals die zahlungsschwachen Kinder und Jugendlichen des Planeten mit immer neuer Software. Zu einer dieser geheimnisvollen Untergrundorganisationen, die in düsteren Kellerräumen gegen den Kopierschutz kämpfte, gehörte auch Walleji. Wahrscheinlich ist der Name Triad noch vielen ehemaligen C64-Besitzern dunkel in Erinnerung. In der guten alten Zeit flimmerte er nämlich in unzähligen Intros, die oft technisch aufwändiger gestaltet waren als die eigentlichen Spiele, über die Bildschirme.


Obwohl der Autor an einigen der Ereignisse, die er beschreibt, direkt beteiligt war, ist Copyright existiert nicht viel mehr als ein Erfahrungsbericht. Es handelt sich zu einem gewissen Teil um ein Geschichtsbuch, das den Einfluss einer Subkultur auf unsere technisierte Welt in den letzten 50 Jahren beschreibt. Wäre das Internet ohne Hacker zu einem Massenphänomen geworden? Hätte sich jemals jemand Gedanken über die Verbesserung von Datenschutz und Netzwerksicherheit gemacht, wenn nicht ein paar Jugendliche bereits vor 25 Jahren durch ihre Aktionen auf Schwachstellen im System hingewiesen hätten? Wie hätten sich Videospiele ohne geniale Tüftler entwickeln sollen, die in Computern mehr sahen als langweilige Rechensklaven? Solche und ähnliche Fragen stellen sich beim Lesen im Minutentakt und obwohl Walleji viel Wissen vermittelt, überlässt er es oft seiner Kundschaft, die endgültigen Antworten selbst zu finden. Es ist wirklich bemerkenswert, wie stark eine Gruppe von Menschen , die im Schulunterricht nie erwähnt wird, unser alltägliches Leben geprägt hat.

Review 2

Mehrere Kapitel widmen sich der Ideologie und der Kultur der Szene. Der Autor bezeichnet sich selbst als sogenannten Kropotkin-Anarchisten, ist für völlige Meinungsfreiheit, betrachtet jede Form von Privateigentum als Diebstahl und hält Großkonzerne für extrem gefährlich. Zugegeben, das hört sich so an, als hätten wir es mit einem Spinner zu tun, dessen langfristiges Ziel es ist, unsere Gesellschaftsordnung zu kippen. Aber Walleji ist sich durchaus darüber im Klaren, dass seine persönlichen Einstellungen nicht mit der Weltanschauung der Massen in Einklang zu bringen sind. Damit ist er ein gutes Beispiel für mehrere Generationen von Hackern, die nicht versuchen die Menschheit zu bekehren, sondern mit gezielten Maßnahmen dafür sorgen, das wir Technik und Fortschritt nicht so blind vertrauen, wie es manche Politiker und Firmensprecher von uns erwarten. Den absolut typischen Hacker gibt es allerdings nicht, wie die Beispiele im Buch deutlich zeigen. Nicht immer ist es eine philosophisch abgesicherte Grundhaltung, die Menschen dazu treibt, nächtelang vor ihren Rechnern zu sitzen, ohne dafür bezahlt zu werden. Auch deutlich niedrigere Beweggründe wie Geltungsdrang, Realitätsflucht oder der Spaß an der Sache selbst, können neben Energy Drinks als Kraftstoff für endlose Computersitzungen dienen. Dass es auch Kriminelle gibt, die auf das über Jahrzehnte gewachsene Trickarchiv zurückgreifen, wird im Buch nicht verheimlicht.

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Copyright existiert nicht ist stellenweise recht subjektiv. Die Begeisterung für Raves und Techno-Musik ist dem Autor beispielsweise deutlich anzumerken, wenn er diesen Begleitphänomenen des Computerzeitalters einige Seiten widmet. Hier ist es durchaus möglich, völlig anderer Meinung zu sein und die Entwicklungen viel negativer zu beurteilen, als es Walleij tut. Für einen mündigen Leser ist es natürlich gerade diese aktive Auseinandersetzung mit dem gedruckten Wort, die Bücher interessant macht.


Das Thema ist zwar extrem komplex, aber dennoch ist das Buch selbst für Computerlaien gut lesbar. Alle wichtigen Begriffe werden bei der ersten Erwähnung verständlich erklärt und nur selten stehen technische Details im Vordergrund. Erstaunlicherweise sind es eher die Kapitel, die sich mit Gesellschaftstheorien, Philosophie, Psychologie und weiteren wissenschaftlichen Disziplinen beschäftigen, die den Durchschnittsbuchkäufer überfordern. Auch hier gelingt es dem Autor durch seinen guten Schreibstil und seine klaren Formulierungen, alles auf den Punkt zu bringen, aber einige der erwähnten Theorien sind so vielschichtig, dass sie völlig Unwissenden nicht auf ein paar Seiten verständlich erklärt werden können. Glücklicherweise wird das Weiterblättern nicht bestraft. Die Kapitel sind thematisch voneinander abgegrenzt und mit passenden Überschriften versehen, so dass es meistens kein Problem ist, sie separat zu lesen.


Das Literaturverzeichnis muss lobend erwähnt werden. Hier werden nicht, wie sonst üblich, lieblos Quellen aufgelistet, sondern es gibt auch immer ein paar Sätze zur Relevanz und zum Inhalt der Publikationen. Da fällt es leicht zu entscheiden, ob sich der Kauf themenverwandter Bücher lohnt.


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Copyright existiert nicht ist ein intelligent geschriebenes Werk über ein Thema, das viel zu selten im Fokus des öffentlichen Interesses steht. Linus Walleij weiß eine Menge über die Geschichte der Hacker, die Entwicklung der Technik und ein halbes Dutzend wissenschaftlicher Disziplinen von Philosophie bis Jura. Trotzdem ist er kein Fachidiot und kann sich so gut ausdrücken, dass ihn auch seine mit regulären Hirnen ausgestatteten Mitmenschen verstehen können. Wenn es überhaupt einen Grund zur Kritik gibt, ist es die Tatsache, dass zu viele Ideen, Fakten und Analysen auf zu wenige Seiten gepresst wurden. Wer einen Computer benutzt, sollte zumindest mal ein Blick in dieses Buch werfen.

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