Nach so viel Theorie wollen wir uns nun endlich in die Welt von Albia stürzen und eine Population von Norns auf ihrem Weg begleiten. Dazu richten wir in Creatures 3 einen Metaroom ein, der die Creatures 1-Welt Albia und die dort vorkommenden Nornrassen simuliert. Unser erstes Ei wird in die Welt importiert und schlüpft nach kurzer Verweildauer im Brutkasten. Der kleine Purple-Mountain-Norn wird auf den Namen Finwe getauft und wir planen, ihn später zum Vater einer Nornfamilie werden zu lassen. Um seinen Nachkommen ein guter Lehrer sein zu können, legen wir Wert auf frühkindliche Bildung: Direkt nach seiner Geburt muss Finwe am Computer Vokabeln pauken, um die rudimentäre Sprache zu erlernen. Wir brüten ihm auch eine Kameradin aus, eine blondschöpfige Horse-Norndame, die auf den Namen Galadriel hören soll. Ob die beiden sich wohl gut verstehen werden? Weitere Gesellschaft in Form von Elu Thingol und Elanor sind auch bald geschlüpft, doch Finwe fühlt sich von so vielen Norns eingeengt und begibt sich auf Entdeckungsreise durch die Welt von Albia. Diese soll ihm jedoch schon nach kurzer Zeit zum Verhängnis werden, denn im Unterseeboot unter dem Meer findet der jugendliche Norn keine Nahrung und verhungert kläglich. Große Traurigkeit!
So müssen die Fortpflanzungpläne mit den übrigen Norns realisiert werden. Um sicherzugehen, dass bei weiteren unerwarteten Todesfällen genügend fruchtbare Norns zur Verfügung stehen, wird der Brutkasten weiter mit Eiern gefüttert, so dass bald auch Olwe, Miriel, Ingwe und Goldilocks die Welt von Albia bevölkern. Während Galadriel das ein Alter erreicht, in dem sie Paarungsbereitschaft zeigt, muss man den in der Entwicklung hinterherhinkenden Elu Thingol noch daran erinnern, regelmäßig zu fressen. Gut, dass er bereits die Sprache gelernt hat, so dass wir ihn mit "Elu Thingol eat food" dazu auffordern können, seine Glukosespeicher wieder aufzufüllen. Ob er auch wirklich gehorcht, ist allerdings eine ganz andere Frage. In puncto Gehorsamkeit verhalten Norns sich ähnlich arbiträr wie Katzen.
Endlich sind auch die Männchen erwachsen, und erfreulicherweise fühlen Elanor und Elu Thingol sich zueinander hingezogen, so dass wir auf baldigen Nachwuchs hoffen dürfen. Die Paarung läuft bei Creatures jedoch streng jugendfrei ab: Nach dem Austausch von viel Gekicher und lautstarken harmlosen Küsschen, die den Liebestrieb anheizen (verfolgbar durch die Biochemieanzeige des virtuellen Doktors) ertönt das Geräusch, das jedes Züchterherz höherschlagen lässt: Ein langer Kuss, gefolgt von einem unverkennbaren Plopp-Geräusch. Die Befruchtung war erfolgreich! Elanor ist schwanger und legt alsbald ein wunderhübsch gemustertes Ei, aus dem nach kurzer Zeit ein Jungtier schlüpft. Der Sohn der beiden stolzen Eltern wird auf den Namen Elweion getauft und weist den dunkelbraunen Horse-Norn-Kopf seines Vaters und die rosa und grau gescheckten Purple-Mountain-Arme seiner Mutter auf. Langsam ziehen auch die anderen Norndamen nach, und so erblickt eine ganze Armada junger Norns das Licht der Welt.
Die große Gemeinschaft lebt glücklich in der Nähe des Brutkastens. Seit Finwes verfrühtem Tod scheint sich niemand mehr in die böse Welt hinauszuwagen, bis der junge Olweion sich aufmacht, in die Fußstapfen seines Onkels zu treten. Er durchquert Garten, Dschungel und die zwei Ozeane, entdeckt den großen Leuchtturm und erkundet ein Haus voll einzigartiger Gegenstände. Schließlich hat er die Rundwelt Albia einmal durchquert und kehrt wohlbehalten zu seiner Familie zurück.
Unerfreulicherweise hat sich in der Population ein kleiner Genfehler eingeschlichen: Das Genom der Banana-Norns scheint für Creatures 3 nicht korrekt portiert worden zu sein und wurde durch den fertilen Casanova Olwe an seine ungezählten Nachkommen vererbt. Dadurch bevölkern nun einige Norns mit zu kurz geratenen Körpern die Welt. Ob sich das wieder herauszüchten lässt? Vielleicht sollten wir die Fellknäuel für ein paar Tage sich selbst überlassen und schauen, was dabei herauskommt…
Abschließende Gedanken
Dies bringt uns zurück zu der Frage: Wie verändert sich der Norn-Genpool nach einem durchschnittlichen Wolfling-Run, bei dem den Spieler nicht mehr in die Entwicklung eingreift? Die Antwort: Nach entsprechend vielen Generationen tendiert die Evolution dazu, unsterbliche, extrem fruchtbare schnell alternde Norns hervorzubringen. Wie langweilig! Doch auch dagegen gibt es Abhilfe in Form eines entsprechend veränderten Genoms, in dem bestimmte Mutationsmöglichkeiten deaktiviert sind. An dieser Stelle sei besonders für Creatures 3 das CFE-Genom zu empfehlen, welches das nornische Gehirn erweitert und diverse für Wolfling-Runs hilfreiche genetische Verbesserungen (beispielsweise geänderte Mutationsraten) aufweist.
Sollte der geneigte Leser sich nun für diese einzigartigen Wesen interessieren: Bei Good Old Games kann man die Spiele mit Kompatibilität für aktuelle Betriebssysteme käuflich erwerben. Die Portierung scheint jedoch nicht immer gelungen zu sein, da beispielsweise Creatures 1 im Test mehrmals unerwartet abstürzte, die Auswahl der auszubrütenden Eier fehlerhaft ist und einige Sprites für Gesichtsausdrücke nicht richtig angezeigt werden. Für Docking Station sind bedauerlicherweise seit ein paar Jahren die Anmeldeserver down, so dass man das kostenlose Mini-Creatures nicht mehr spielen kann, sofern man sich keinen Auto-Login-Blocker herunterlädt. Empfehlung daher: Creatures 3 kaufen oder Docking Station kostenlos downloaden, C1-to-DS-Metaroom inklusive Login-Blocker und C1-Norn-Sprites installieren (ggfs. keine Banana-Norns ausbrüten) und das Original-Creatures-1-Feeling mit Creatures-3-Komfort genießen.
Creatures ist ein etwas eigenwilliges Spiel, basiered auf dem Konzept eines ebenso eigenwilligen (passenderweise mit Gottkomplex ausgestatteten) Schöpfers. Dennoch können erstaunlich viele verschiedene Spielertypen mit der Lebenssimulation glücklich werden: Kinder erfreuen sich an der fröhlich-bunten Grafik, bei weiblichen Spielern wird der Mutterinstinkt noch stärker als bei den Sims befriedigt, Wissenschaftler können stundenlang über der Wirkungsweise von Genen tüfteln, wohingegen die vielen Moddingmöglichkeiten Spieler mit entsprechenden Programmierkenntnissen ansprechen, und Darwinisten können Evolution im Zeitraffer bewundern. Wer also über etwas angestaubte Grafik und gelegentliche Bugs hinwegsehen kann und auch ohne konkretes Spielziel zufrieden ist, dem sei Creatures ans Herz gelegt. All diejenigen, die die ersten beiden Punkte nicht verkraften können, müssen sich leider noch ein wenig gedulden, bis Creatures 4 bzw. Grandroids erscheint.