Vor einigen Jahren startete Square-Enix sein SE Collective-Programm. Durch Aufkauf von Studios wie Eidos befinden sich zahlreiche ungenutzte Lizenzen im Firmenbesitz. Nicht nur unbekannte Franchises, auch ehemalige Millionenseller und AAA-Titel wie Legacy of Kain, Gex und Hitman. Schade um die Hits vergangener Tage, die nunmehr im Firmentresor verstauben. Nachdem man 2017 bereits die Rechte an Hitman an die Entwickler zurückgegeben hat, geht man nun mit einem weiteren Klassiker anders um. Im Rahmen des SE Collectives ermutigte man unabhängige Entwickler, sich der ungeliebten Kinder anzunehmen und mit Konzepten an den japanischen Giganten heranzutreten. Ein abgesegnetes Projekt und eine Kickstarter-Kampagne später hatten die Franzosen von Sushee den Zuschlag für einen Fear-Effect-Nachfolger. Square-Enix erhält dafür 20% der Einnahmen und besitzt weiterhin die Markenrechte.
Wer sich nicht mehr an Fear Effect und dessen Nachfolger Retro Helix erinnert, dem sei hiermit auf die Sprünge geholfen: Die Games um die weibliche Heldin Hana waren spannende High Tech Thriller in einer futuristischen Welt. Wie damals beliebt bewegte man sich mit Panzersteuerung durch hochdetaillierte, vorgerenderte Hintergründe. Resident Evil ohne Horror. Besonderes Aufsehen erregte der Look, wurden die 3D Charaktere doch im damals noch neuartigen Cel-Shading-Look präsentiert und hoben sich dadurch klar von anderen Games auf Sonys 32-Bitter ab. Spätestens mit Teil 2, in dem Hana Verstärkung durch ihre Partnerin Rain bekam sorgte auch Sex-Appeal für offene Münder. Denn Hana und Rain hatten eine lesbische Beziehung, und die Werbekampagne stellte das besonders heraus.
Fear Effect Sedna ist nun trotz der langen Zeit, die seit Teil 2 vergangen ist kein Reboot. Das Abenteuer ist eine Fortsetzung, angesiedelt vier Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils. Hana, Rain, Deke und Glas sind alle wieder mit von der Party. Auch der gewohnte Cel-Shading-Look ist nach wie vor vertreten. Und es dauert nicht lange, bis der Spieler Zeuge zärtlicher Küsse und Flirtereien zwischen den Heldinnen wird. Für die Erotik-Komponente wurde also ebenfalls gesorgt.
Was sich stark verändert hat, ist das Gameplay. Mit einer Abkehr von Panzersteuerung und statischen Hintergründen war zu rechnen, aber Sushee stellt alles auf den Kopf. Statt eines 3rd Person Action Adventures erleben wir nun das Abenteuer in Form eines isometrischen Taktik-Games.
Die Inspiration ist unverkennbar: Harebrained Schemes Shadowrun Returns stand eindeutig Pate. Man bewegt die Akteure in Echtzeit durch die Welt, Partner können der aktuell kontrollierten Figur folgen oder man weist sie an zu warten. Jedem stehen verschiedene Skills zur Verfügung, und mit einem Tastendruck darf der gesteuerte Held jederzeit gewechselt werden. Kommt es zum Gefecht, kann man entweder ohne Pause selbst ballern, oder aber das Geschehen anhalten und den Taktikmodus aufrufen. Hier kann man entspannt den nächsten Zug planen. Die Figuren werden so geschwind auf exakte Positionen, bspw. in Deckung geschickt. Eine Art deutlich simpleres XCOM 2, wenn man so will.
Der Fokus liegt jedoch nicht nur auf Kämpfen. Schleichen spielt eine große Rolle, und oft empfiehlt es sich, Feinde mit nur einem Tastendruck aus dem Hinterhalt auszuschalten. Bewegt man sich schleichend fort werden die Sichtfelder von Feinden und Kameras genau angezeigt. Ein wenig geht aber doch die Übersicht verloren, werden die Sichtpegel zum Beispiel in engen Korridoren von Wänden und Objekten verdeckt.
Manchmal reicht es auch nicht aus, sich vorsichtig an den Kameras vorbeizumogeln. Dann müssen kleinere Puzzles im Raum gelöst und mit Gegenständen den Überwachungsinstrumenten die Sicht verstellt werden.
Minigames sind ein Thema für sich, so müssen verschiedene Puzzles im Stil klassischer Action Adventures gelöst werden. Diese sind überraschend fordernd und werden nicht näher erklärt. Erst durch Versuchen klärt sich, was getan werden soll. Umgebungsgrafiken im Level können versteckte Hinweise bieten. Teilweise haben die Entwickler es jedoch etwas zu gut gemeint. Bereits früh im Spiel hatte ich echte Probleme, eine Tür zu öffnen, für die ein Reaktionsspielchen beendet werden musste. Bei Grobmotorikern und Rätselmuffeln kann da Frust aufkommen, und ein seperat regelbarer Schwierigkeitsgrad für diese Spielelemente und bessere Erklärungen wären wünschenswert gewesen.
In den ersten Spielstunden hat Fear Effect Sedna durchaus einen guten Eindruck hinterlassen. Ob ein so andersartiges Spielkonzept Fans der Vorgänger zufrieden stellen kann, bleibt abzuwarten. Die Story jedenfalls scheint den Klassikern gerecht zu werden.