Pineview Drive - Mister Minit in gruselig - (PC-)User-Review
Die Frau in Weiß
Verlassene Schlösser und uralte Villen boten schon immer reichlich Stoff für spannende Mystery Stories in Literatur, Film oder Videospielen. Diesmal geht es in ein einsames Landhaus am Ende des Pineview Drive, nahe des Pineview Forest, der nach einer Seite hin an einen felsigen Küstenabschnitt und das mit schweren Ketten gesicherte große Eingangstor zu einem etwas abseits gelegenen Friedhof angrenzt. Um das Anwesen ranken sich neben spätherbstlichem Grün auch zahlreiche düstere Legenden. Angeblich soll es niemand länger als 30 Tage auf dem Anwesen ausgehalten haben, jedenfalls nicht lebend. Was den Spieler natürlich nicht davon abhalten kann, es dennoch zu versuchen, zumal unser namenloser Protagonist von einem handfesten Motiv getrieben wird: Vor zwanzig Jahren wurde er hier von Linda, seiner geliebten Frau, getrennt. Damals floh oder starb sie hier, entschwand in ihrem weißen Nachthemd, einfach so. Folglich gilt es heute, zwei Jahrzehnte später, herauszufinden, was es mit Lindas plötzlichem Verschwinden auf sich hatte und in welchen Zusammenhang dieses womöglich mit anderen merkwürdigen Ereignissen in und um Pineview Drive steht.
Adventure ohne Rätsel
Ist Pineview Drive aber überhaupt ein typisches Adventure? Nicht unbedingt, weshalb man in einigen Infos darüber gelegentlich auch den Begriff Survival-Horror findet. Dabei ist die eine Bezeichnung im Prinzip genauso unscharf wie die andere. Denn für ein "Horror"-Spiel ist das Produkt von VIS eine ganze Nummer zu seicht. Es als klassisches Adventure zu begreifen, wäre aber ebenso falsch, denn dazu fehlt es an Rätseln. Nun ist das Fehlen von härteren Kopfnüssen allein noch kein Ausschluss-Kriterium. Schon Gone Home kam ganz ohne knifflige Kombinations- und Verschiebe-Rätsel aus, wie auf Exploration, d.h. auf die Erkundung der Spielwelt ausgerichtete Adventures ohnehin immer beliebter werden und fast komplett auf Gehirnakrobatik verzichten. Dagegen ist auch wenig einzuwenden, sofern es wirklich etwas zu entdecken gibt.
Dass Pineview Drive daran scheitert, wird schnell deutlich, eigentlich schon nach dem dritten Tag. Konnte man im Indie-Adventure House of Caravan, das ebenfalls in einem verlassenen Haus spielt, noch die ganze Hütte auf den Kopf stellen, Schreibtische, Truhen, Schränke, Töpfe, Vasen nach Hinweisen, Dokumenten und anderen Objekten durchstöbern und währenddessen sogar noch das ein oder andere Rätsel lösen, so ist man in Pineview Drive praktisch ausschließlich damit beschäftigt, Schlüssel für abgesperrte Türen zu suchen. Und das 30 Tage lang. Na ja, nicht ganz. Ab dem 25igsten sollen wir Teile eines Fotos suchen, die wir dann etwas später zu einem Ganzen zusammenfügen müssen, um uns gegen Ende des Spiels Zugang zu einer Gruft zu verschaffen. Angesichts des einfältigen Gameplays darf allerdings bezweifelt werden, ob Adventure-Fans so lange dabeibleiben. Einige werden dies, einige aber definitiv nicht. Ich habe es durchgehalten (die auf der Verpackung angegebene Gesamtspielzeit von 8 Stunden kommt in etwa hin). Aber hauptsächlich, weil ich mehr über die geheimnisvolle Frau in Weiß, die genauen Hintergründe über Lindas Verschwinden erfahren wollte. Eine Erwartung, die - das sei an dieser Stelle schon mal gesagt - nicht erfüllt wurde. Denn das Ende von Pineview Drive dürfte außer den Entwicklern kaum jemand kapieren. Wollte man die Spieler bewusst im Unklaren lassen und sie damit zu eigenen Interpretationen anregen? Oder sich Stoff für eine Fortsetzung aufheben? Keine Ahnung.
30 Tage, 100 Schlüssel, 1.000 Türen
Der Ablauf ist Tag für Tag derselbe: Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erwachen wir in einem Schlafzimmer des Spukhauses, welches - wie sich bald herausstellen soll - weitaus größer ist, als es nach unserer Ankunft am Pineview Drive zunächst den Anschein hat. Nach Mitternacht - die obligatorische Standuhr hat gerade 12 Male geschlagen - bricht die Geisterstunde an. Das komplette Anwesen liegt ab jetzt im Dunkeln. Am 8. Tag fällt zudem der Strom im Haus aus. Die Lichtschalter funktionieren nicht mehr, so dass wir fortan Streichhölzer (damit lassen sich Kerzen anzünden) und eine Taschenlampe, dessen Batterien kreuz und quer auf dem Anwesen verteilt (und schnell verbraucht) sind, als Hilfsmittel nutzen. Eigentlich käme man die meiste Zeit auch ohne künstliche Lichtquellen aus, jedoch ginge das irgendwann wahrscheinlich zu stark auf die Augen. Überhaupt wäre es im Real Life sicher naheliegender, das Haus am Tage zu durchsuchen. Aber da es sich bei Pineview Drive um ein Grusel-Adventure handelt, betreiben wir unsere Nachforschungen nur nachts. Das Setting lässt im Grunde genommen auch keine andere Möglichkeit zu.
Und wonach suchen wir? Nach Schlüsseln - und den dazugehörigen Türen. Leichter gesagt als getan. Weder Schlüssel noch Türen sind beschriftet, eine Karte vom Haus o.ä. existiert nicht und viele Flure und Räumlichkeiten ähneln sich, so dass dem Spieler, wenn schon keine übergroße Kombinationsfähigkeit oder kriminalistischer Scharfsinn, so doch immerhin ein ausgeprägtes Orientierungsvermögen, Jogging-Qualitäten und ein nicht unerhebliches Maß an Geduld abverlangt werden. Per Maus & WASD-Tasten bewegen und lenken wir unseren Mann aus der Ego-Perspektive durch das Anwesen. Die Schlüssel können theoretisch überall rumliegen. Nicht nur im Haus, sondern z.B. auch irgendwo im Garten oder an den Felsen in Küstennähe. Ob und wie schnell wir sie finden, ist zunächst dem reinen Zufall überlassen, so dass man sich am Pineview Drive bis zur Entdeckung des Fundorts im ungünstigen Fall schon mal locker ein halbes Dutzend Schuhsohlen ablaufen kann. Bleibt unsere Suche längere Zeit erfolglos, gibt es - dem Himmel sei Dank! - einen Hinweis von unserem namenlosen Protagonisten ("Ich glaube, im Pflanzenzimmer lag ein Schlüssel auf dem Teppich.", "Im Badezimmer habe ich Wasser gehört.", "Die Geräusche kamen aus der Küche" usw.), wo sich der nächste Schlüssel befindet. Zu welcher Tür der passt, müssen wir anschließend aber wieder selber herausfinden. Dies geschieht dadurch, dass wir im Try & Error-Verfahren sämtliche Türen - und davon gibt es etliche im Haus - abklappern. Und zwar so lange, bis wir die entsprechende Tür gefunden haben. Das kann mitunter ziemlich nervig sein, wobei es jedes Mal ein kleines Erfolgserlebnis ist, wenn sich der Schlüssel im Türschloss umdrehen lässt, also "passt", und wir danach einen neuen Raum betreten können. Dort findet sich stets ein Notiz-Zettel, der den Tag bzw. die Nacht abschließt und in ein bis zwei Sätzen Andeutungen darüber macht, was sich vor 20 Jahren am Pineview Drive zugetragen hat. So erfahren wir unter anderem, dass Linda hier einst einen "totalen Nervenzusammenbruch" erlitt. Bei all den Schlüsseln und Türklinken kein Wunder.
Ein Toter spielt Klavier - Grusel-Clown is watching you
So ganz absprechen wollen wir Pineview Drive den Status eines Grusel-Adventures trotzdem nicht. Nun muss ich gestehen, dass ich schon immer eine Schwäche für Gespenster-Geschichten und alte Spukhäuser hatte und mich Wochen mit Spielen wie Scratches oder Anna (Extended Edition) beschäftigen konnte, während andere solche Games absolut langweilig finden. Auch Pineview Drive hat ein paar recht gelungene Schock-Effekte. Laut offiziellen Herstellerangaben sind es derer über fünfzig. Ich habe nicht mitgezählt, kann aber sagen, dass diese größtenteils gut inszeniert und platziert sind, auch wenn sie sich im weiteren Spielverlauf naturgemäß immer weiter abnutzen und damit an Wirkung verlieren.
Hinzu kommt: Am Pineview Drive lauern weder Zombies noch Serien-Killer, die einen um die Ecke bringen könnten. Den Löffel abgeben kann man dennoch. Erschrecken wir extrem - vom Programm zum Beispiel dadurch zu erkennen, dass der Spieler die Maus zu stark verreißt oder sein Verhalten ändert (plötzliches Umdrehen, Stehenbleiben oder Losrennen) - zehrt das an unserer Lebensenergie. Erreicht der Lebensbalken die Null-Marke, sind wir tot (Herzversagen) und es heißt "Game Over". So erging es mir zweimal, am 25igsten und am letzten, dem 30igsten Tag. Aus Gründen allerdings, die ich eigentlich schlecht nachvollziehen kann, denn mir wurde selbst dann Gesundheit abgezogen, wenn ich nicht erschrak und ruckartige Bewegungen bewusst vermied. Hier drängt sich der Eindruck auf, dass der Punkteabzug zumindest an einigen Stellen mehr oder weniger vom Computer vorgegeben und nicht allein vom Verhalten des Spielers abhängig ist.
Wenn zu mitternächtlicher Stunde plötzlich ein Telefon in irgendeinem Zimmer klingelt, das Bellen eines Hundes zu hören ist, eine Katze hinter der Tür hervorspringt, ein Vogel von draußen an die Fensterscheibe klatscht, eine schemenhafte Mädchengestalt auftaucht, ein unsichtbarer Jemand anfängt, auf die Klaviertasten zu hauen, trotz Stromausfall der Fernseher urplötzlich angeht oder eine Frau in weißem Kleid an die Haustür klopft, dann hat das zwar noch lange nicht die Horror-Qualitäten eines Amnesia oder Outlast, hält den Spieler aber ganz schön in Atem. Und dann ist da noch ein Clown, der häufiger die Position wechselt und uns an verschiedenen Stellen des Hauses auflauert, um uns mit seinen hämisch Kasper-haften Lauten und einem diabolischen Gelächter zu erschrecken. Wie weit einen solche Augenblicke das Fürchten lehren, hängt aber sicherlich vom einzelnen Spieler und seiner jeweiligen Situation ab. Spielt man Pineview Drive für sich allein, eventuell über Kopfhörer, am späten Abend, dann ist das Erlebnis ein völlig anderes, als wenn man den Titel mehr so nebenher zockt. Wer sich einen näheren Eindruck verschaffen will, der findet auf Steam kostenloses Demo-Material, darunter auch "Pineview Forest", wo es darum geht, einen düsteren Waldweg zu passieren. Besitzer des Hauptprogrammes erwarten zwei zusätzliche Modi, beides Gratis-Updates zu Pineview Drive, die jedoch erst nach Abschluss aller 30 Tage freigeschaltet werden. In "Scarecrow - die 8 Briefe" müssen wir acht Notizzettel finden, ohne dabei einer Vogelscheuche, die sich irgendwo im Haus versteckt hält, in die Arme zu laufen. In "Hausbesichtigung" erhalten wir schließlich Gelegenheit, alle (unverschlossenen) Zimmer und Räumlichkeiten des Anwesens noch einmal bei Helligkeit, also am Tage, zu durchstreifen.
Präsentation
Als Nischentitel kann und darf Pineview Drive natürlich nicht mit größeren Adventure-Produktionen verglichen werden. Grafisch ist der Titel aus dem Jahre 2014 eher schwach, auch im Vergleich zu Indie-Games wie Gone Home (2013) oder House of Caravan (2015). Die altbackene Optik fällt während unser 30tägigen Nachforschungen aber kaum auf, da sich diese bekanntermaßen im (Halb-)Dunkeln abspielen. Besser gelungen sind da schon die Soundeffekte. Das Ticken des Uhrwerks, der Donnerhall beim Gewitter, der Krach, der entsteht, wenn ein Schwert plötzlich aus der Wandhalterung fällt - all diese Dinge kommen akustisch schon ganz gut rüber. Gesprochen wird fast nie. Und wenn, dann ist nur der Protagonist kurz zu hören. Für den haben uns die Entwickler gleich drei unterschiedliche Synchronsprecher zur Auswahl gestellt. Die beiden deutschen Stimmen schwanken dabei zwischen lustlos bis unpassend. Der englische Sprecher schneidet noch am besten ab.
Fazit
Schade, meine Erwartung, dass es sich bei Pineview Drive um ein neues Scratches handeln könnte, wurde leider nicht erfüllt. Das Spiel enthält einige gute Ansätze, die aber nicht konsequent zu Ende gedacht und umgesetzt wurden. So hätten die Entwickler beispielsweise selbst darauf kommen müssen, dass es auf Dauer wenig motivierend sein kann, ständig Schlüssel zu suchen und anschließend Unmengen verschlossener Türen abzuklappern. Das Spielprinzip trägt einfach nicht, erst recht nicht über 8 bis 10 Spielstunden. Und das Ende der "Geschichte" ist völlig unbefriedigend. So kann es nicht weiter überraschen, dass es kaum je ein Mensch länger als 30 Tage im Haus am Pineview Drive ausgehalten hat.
PRO:
+ einige gelungene Scare-Jumps
+ akzeptabler Sound
+ ordentlicher Umfang (plus Zusatz-Modi)
CONTRA:
- Schock-Effekte wiederholen sich sehr schnell
- eintönige Schlüssel- und Türen-Suche
- Story bleibt nebensächlich
- mäßige Grafik
- nahezu gänzlicher Verzicht auf Rätsel
- kaum Möglichkeiten der Interaktion
- enttäuschendes Ende
Grafik: 50 %
Sound: 70 %
Steuerung: 80 %
Gameplay: 40 %
Spielspaß: 40 %
Multiplayer: nicht vorhanden
Gesamtwertung: 56 %