The Vanishing of Ethan Carter (PC) - User-Review

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    • The Vanishing of Ethan Carter (PC) - User-Review


      Eine mysteriöse Insel, ein Protagonist, der bei einem tragischen Autounfall seine Geliebte verlor und seinen Schmerz nun in Form eines an ihr gerichteten Briefes festhält. Aus der Ego-Perspektive durchstreifen wir die verlassene Spielwelt und stoßen dabei nebenher auf eine ältere Geschichte. Die Story ist interessant, die Atmosphäre beklemmend, aber knackige Rätsel gibt es nicht. Das war 2012. Der Titel nannte sich Dear Esther, verkaufte sich binnen weniger Monate über 250.000 Mal und bewies, dass auch unkonventionelle, auf Exploration ausgerichtete Adventures ihre Abnehmer finden. The Vanishing of Ethan Carter, bereits seit Ende 2014 für PC erhältlich – die PS4-Version erschien 2015, die Xbox One-Fassung im Januar 2018 -, zielt Gameplay-mäßig in dieselbe Richtung. Bereits im Vorspann zum First-Person-Thriller wird deutlich, was uns die nächsten Stunden erwartet: “Dieses Spiel ist eine narrative Erfahrung und nimmt dich nicht an die Hand”, heißt es da. Klingt wie eine Warnung. Ist es auch, in mehrfacher Hinsicht.

      Auch The Vanishing of Ethan Carter beginnt mit einem Brief. Absender ist Ethan Carter, ein Junge, der sich offenbar in großer Gefahr befindet und sich deshalb schriftlich an Paul Prospero wendet. Mit der flehenden Bitte, ihm zu helfen. Und dies möglichst schnell. Prospero ist Detektiv. Doch kein gewöhnlicher. Er besitzt übernatürliche Fähigkeiten und tritt immer dann in Aktion, wenn die Polizei im Dunkeln tappt oder mit ihren einfachen Untersuchungsmethoden nicht mehr weiterkommt. “Das Verschwinden von Ethan Carter” wird sein größter und schwerster Fall werden. Und wenn er abgeschlossen ist, wird Prospero nie mehr einen annehmen wollen.

      Unheil liegt über Red Creek Valley

      Alle Spuren führen nach Red Creek Valley, einem fiktiven Dorf im Norden der USA, eingebettet zwischen Hügeln und dichten Waldbeständen, am Rande eines breiten Flusses. Wie geschaffen für einen Wochenend-Ausflug oder Erholungsurlaub. Hier lebt Ethan Carter zusammen mit seinen Eltern, seinem Bruder Travis, seinem Großvater sowie seinem Onkel Chad. Doch in letzter Zeit scheinen in der Familie immer häufiger Spannungen aufgetreten zu sein. Offenbar kam es zu handfesten Konflikten zwischen einzelnen Familienmitgliedern – und zwar wegen Ethan.

      Schon kurz nach seiner Ankunft in Red Creek Valley merkt Prospero, dass mit der Gegend irgendwas nicht stimmt und warum man ausgerechnet ihn, den okkulten Detektiv, gerufen hat. Denn die ländliche Idylle trügt. Im Wald sind tödliche Fallen versteckt, an einer alten Lok entdecken wir Blutspuren und etwas abseits des Schienenstranges liegen die Überreste eines Menschen – die Beine abgetrennt, der Schädel eingeschlagen. Alles Anzeichen brutalster Gewalt. Das Dorf selbst ist verlassen und gleicht einer Geisterstadt. Alle Bewohner sind wie vom Erdboden verschwunden, so wie Ethan selbst. Die Häuser sind verfallen, teilweise abgebrannt, das örtliche Bergwerk, der wohl größte Arbeitgeber vor Ort, ist menschenleer. Die Uhren an der Bahnhaltestation und im Kirchturm haben aufgehört zu ticken. Sie sind stehen geblieben, so gegen 7.00 Uhr. Was aber ist zu dieser Zeit – oder kurz darauf – in und mit Red Creek Valley genau passiert? Und in welchem Zusammenhang steht dieser seltsame Zustand möglicherweise mit dem vermissten Jungen Ethan Carter?

      Erinnerungen an Edgar Allan Poe und H.G. Wells

      The Vanishing of Ethan Carter ist ein ungewöhnliches Adventure. Ein paar kleinere Rätsel erwarten uns zwar auch, doch lebt das Indie-Abenteuer hauptsächlich von seiner beklemmenden Atmosphäre und seiner spannend erzählten Geschichte. Beides funktioniert bzw. entfaltet seine Wirkung jedoch nur, wenn man bereit ist, sich auf das etwas behäbige Spielprinzip einzulassen und eine Antenne für diese Art subtilen Schreckens besitzt. Was gleichzeitig bedeutet, dass nicht jeder von diesem Titel begeistert sein wird. Freunde klassischer Rätselkost (Sherlock Holmes) oder auch richtig furchteinflößender 1st-Person-Adventures (Soma) werden mit Paul Prosperos paranormalen Krimi-Abenteuer vermutlich wenig bis nichts anfangen können, denn der eigentliche Horror ist hier wesentlich hintergründiger, subtiler. Abgesehen von einigen wenigen Szenen, in denen es, was die Gewaltdarstellung betrifft, ziemlich direkt zur Sache geht, besteht die Spannung in der Unsicherheit. Darin, zunächst nur erahnen zu können, was sich unter dem Deckmantel der ländlich-romantischen Kulisse verbirgt. Und in der unbestimmten Gewissheit, dass es nichts Gutes ist.

      Gekonnt bedient sich The Vanishing of Ethan Carter allgemein bekannter Vorbilder aus Film und Literatur. Gewisse Ähnlichkeiten, wie die mit dem bei uns in Deutschland erstmals zu Beginn der 1990er Jahre ausgestrahlten Mystery-TV-Mehrteiler Twin Peaks, dürften daher ebenso wenig zufällig sein, wie Anleihen an die Werke berühmter Grusel- und Fantasy-Autoren wie Edgar Allan Poe und H.G. Wells. Auch etwas H.P. Lovecroft ist vertreten. The Vanishing of Ethan Carter steckt voller Symbole und Metaphern, die sich allerdings erst nach und nach erschließen. Und so stößt Detektiv Prospero während seiner Nachforschungen in und um Red Creek Valley auf schwarze Raben, Seeungeheuer, Astronauten und gelangt dabei schließlich auf die Spuren eines Geflechts aus Familienzwist, Misstrauen, Angst, Verzweiflung, düsteren Fantasien und Mord. Alles Dinge, die in dieser Kombination keinen wirklichen Sinn ergeben, um – wie das für mich einigermaßen überraschende Ende zeigt – dann doch einen zu machen.

      Tatort(e)

      The Vanishing of Ethan Carter besteht aus insgesamt zehn kleineren Fällen, die alle gelöst werden müssen, wenn man das Geheimnis um den verschwundenen Jungen lüften will. Dem Spieler wurde dabei ein hohes Maß an Handlungs- und Bewegungsfreiheit eingeräumt. Es bleibt ihm nämlich weitgehend selber überlassen, in welcher Reihenfolge er die einzelnen “Mini-Kapitel” abarbeitet. Da der Titel als Open Word-Game angelegt ist, entfällt die strenge Linearität, wie man sie von vielen anderen Video-Games her kennt. Das Ende der Geschichte erleben wir allerdings nur, wenn wir zuvor alle wichtigen Schauplätze besucht und dort alle Rätsel gelöst haben. Dies ist mit reichlich Lauferei verbunden, die aber zu keinem Zeitpunkt nervt, weil wir Prospero aus der Ich-Perspektive wie in einem Ego-Shooter zügig durch die (semi-)offene Spielwelt bewegen können, das altmodische Geklicke von (Stand-)Bild zu (Stand-)Bild und die aus Adventures wie Barrow Hill oder Scratches leidlich bekannte, ziemlich umständliche Navigation von A nach B dadurch entfällt. Die Umgebungen wirken währenddessen nie künstlich begrenzt. Unsichtbare Wände gibt es nicht. Aufgehalten werden wir bestenfalls durch natürliche Barrieren wie Felsen, Flüsse oder Straßen- bzw. Wegabsperrungen, was beim Spieler das Gefühl verstärkt, sich in einer realen Welt zu bewegen.

      Was die einzelnen Locations anbelangt, hält The Vanishing of Ethan Carter vieles von dem bereit, was man von einem Mystery-Thriller erwartet. Wir durchstreifen entlegene Wälder, entdecken verborgene Pfade, etwas später lustwandeln wir in Hexenhäusern, auf Friedhöfen, in Gruften oder wir begeben uns “unter Tage”, in ein altes Bergwerk. Des Spielers Aufgabe besteht zumeist darin, bestimmte Ereignisse – nicht selten handelt es sich dabei um Mord – zu rekonstruieren. Dazu müssen die Tathergänge vor Ort jeweils in die richtige Reihenfolge gebracht werden. Haben wir die einzelnen Handlungen chronologisch korrekt angeordnet, ist Prospero aufgrund seiner paranormalen Fähigkeiten dann in der Lage, das zurückliegende Geschehen zu visualisieren, so dass man anschließend weiß, was sich seinerzeit an Ort und Stelle genau zugetragen hat und wieder ein kleines Stück weiter mit seinen Ermittlungen gekommen ist.

      Adlerauge sei wachsam!

      The Vanishing of Ethan Carter bietet dem Spieler praktisch keine Hilfestellung, d.h. es wird ihm nicht gesagt, wo was zu tun ist, oder besser gesagt, dass an diesem oder jenem Abschnitt im Spiel überhaupt etwas zu tun ist. Während unserer detektivischen Nachforschungen kann dies gelegentlich zur Ratlosigkeit führen bzw. dazu, dass wir bestimmte Tatorte gar nicht als solche erkennen. Beispiel: Ganz zu Beginn des Spiels muss Prospero fünf Fallen ausfindig machen, die abseits des Weges nach Red Creek Valley am Waldesrand lauern. Dass es fünf an der Zahl sind, wird einem aber nicht gesagt. Machen wir also womöglich nur vier Fallen ausfindig, dann lösen wir, weil wir eine Falle übersehen haben, die dazugehörige Schluss-Sequenz vor Ort nicht aus und ziehen womöglich unvermittelt weiter, ohne den “Tatort” abgeschlossen zu haben. Aufmerksamkeit ist bei diesem auf die Erkundung der Umgebungswelt ausgerichteten Adventure also besonders wichtig. In einem anderen Spielabschnitt müssen wir uns Zugang zu einer Mine verschaffen. Das Haupttor ist verschlossen. Ins Innere des Bergwerkes gelangt man nur über einen Eingang, der ganz in der Nähe zwischen Felsen versteckt liegt. Den wiederum findet man aber auch nur, wenn man die Gegend vorher genau abgesucht hat, denn besagter Eingang fällt nicht sofort ins Auge und wird auch nicht etwa durch Schilder o.ä. ausgewiesen.

      Seichte Rätsel

      Dass Rätsel in einem Adventure wie The Vanishing of Ethan Carter, welches den Schwerpunkt klar auf explorativen und erzählerischen Elementen legt, keinen hohen Stellenwert einnehmen, dürfte angesichts der Spielmechanik nicht überraschen. Dennoch erwartet uns in Prosperos Detektiv-Abenteuer deutlich mehr Interaktion als beispielsweise seinerzeit in Dear Esther, das darauf komplett verzichtete. Die Rätsel sind oft sehr einfach und aus Sicht erfahrener Adventure-Spieler womöglich gar nicht als solche zu bezeichnen. Für gewöhnlich geht es darum, ein oder zwei Gegenstände, die immer in der unmittelbaren Umgebung des jeweiligen Tatortes herumliegen, aufzufinden und anschließend zu benutzen (z.B. muss eine alte Kurbel auf eine Lokomotive angewendet werden, um die Lok so in Betrieb zu nehmen). Aufgrund der äußerst geringen Zahl verwendbarer Objekte entfällt auch ein Inventar wie man es von klassischen Adventures her gewohnt ist. Bei gründlicher Sichtung der Locations und mit ein wenig Kombinationsvermögen kommt man bei diesem Spiel eigentlich gut voran. Wer wirklich harte Kopfnüsse sucht, der sollte seine Erwartungen diesbezüglich also etwas zurückschrauben, denn solche begegnen uns während der Suche nach Ethan Carter so gut wie keine.

      Das gruseligste und zugleich vielleicht schwierigste Kapitel in The Vanishing of Ethan Carter spielt in einem unterirdischen Labyrinth. Hier müssen wir ein paar entsetzlich zugerichtete Leichen aufspüren und untersuchen. Unser Vorhaben wird dadurch erschwert, dass da unten ein Wächter sein Unwesen treibt, der unsere Anwesenheit nicht bemerken darf. Tut er es doch, schickt er uns einen Zombie auf den Hals und die Schleich-Aktion gilt als gescheitert. Werden wir also entdeckt, ist die Mission verloren und der Spieler muss es erneut versuchen.

      Die Spielzeit wird variieren. Kommt man mit den Fällen gut klar und übersieht keine wichtigen Details, dürfte man für The Vanishing of Ethan Carter tatsächlich nicht viel mehr als fünf Stunden benötigen. Erforscht man die Umgebungswelt jedoch etwas intensiver, bleibt zwischendurch mal hängen (z.B. weil man einen Gegenstand nicht findet oder nicht auf Anhieb weiß, was als nächstes zu tun ist), dann kann sich auch eine deutlich längere Gesamtspieldauer ergeben. Ich selbst habe über zehn Stunden benötigt, aber hauptsächlich, weil ich Red Creek Valley bis in den letzten Winkel erkundet habe und häufiger innehielt, allein, um die grandiose Umgebungswelt zu genießen.

      Erstklassige Präsentation

      In technischer Hinsicht ist The Vanishing of Ethan Carter ein Augen- und Ohrenschmaus. Dank Unreal 4-Engine erreicht die Darstellung der Spielwelt bisweilen fotorealistische Standards und übertrifft selbst das, was man von großen (Adventure-)Produktionen gewohnt ist. Da fällt es kaum auf, dass die Darstellung der Charaktermodelle die allgemein hohe Grafikqualität nicht ganz zu halten vermag. Dafür sind alle Akteure/NPCs erstklassig synchronisiert. Insbesondere Prosperos markante Stimme bleibt im Ohr hängen, ebenso der episch-orchestrale Soundtrack, der situationsabhängig zwischen melancholischen und choralen Klängen wechselt. Gesprochen wird übrigens in englischer Sprache (mittels Einstellung im Options-Menü alternativ auch in polnischer, da die Entwickler von The Astronauts aus Polen stammen); Untertitel gibt es u.a. in Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch und Italienisch. Während des Spiels stoßen wir immer wieder auf kürzere Texte, ältere Zeitungs-Artikel usw., die wir durchlesen sollten, da sie uns nicht vorgelesen werden. Besagte Texte sind aber ebenfalls in verschiedene Sprachen übersetzt worden, so dass von daher keinerlei Verständnisprobleme auftreten.

      Fazit:
      Was das kleine Studio von The Astronauts hier abgeliefert hat, grenzt - insbesondere für einen Indie-Titel - an eine technische Meisterleistung. Was den rein spielerischen Aspekt anbelangt, dürfte The Vanishing of Ethan Carter aufgrund der geringen Rätseldichte jedoch nicht alle Geschmäcker treffen. Für wen also ist der Titel geeignet? Und für wen nicht? Wer in der Vergangenheit bereits explorative und Story-basierte Adventures wie Dear Esther kennen und schätzen gelernt hat, der bekommt mit The Vanishing of Ethan Carter ein sehr gutes Spiel. Und das auf technisch hohem Niveau, zumal anfängliche Mängel der (ursprünglichen) PC-Version wie das unzureichende Speichersystem per Gratis-Update bzw. in der Redux-Version und den Konsolenfassungen inzwischen beseitigt wurden. Für Horror-Fans, Rätsel-Füchse und Anhänger klassischer Point & Click-Adventures scheint mir das Produkt der polnischen Entwickler weniger geeignet, denn viele dieser Spieler werden darin bestenfalls eine umfangreiche Grafik-Demo sehen. Eine, die zwar eine spannende Geschichte erzählt, aber letzten Endes nicht wirklich fordert und möglicherweise auch nur mäßig gruselt. Denn dieser Mystery-Krimi-Thriller ist über weite Strecken mehr ein interaktiver Spiel-Film als ein Video-Spiel. Weniger was für die breite Masse, sondern eher was für "Experten" am Rande des Geschehens. Ich mochte es. Sehr!

      PRO:
      - grandiose Grafik
      - sehr gute (englische) Synchronsprecher
      - beklemmende Atmosphäre
      - spannende Story

      CONTA:
      - kaum klassische Rätsel
      - kurze Spielzeit