Full Motion Video-Adventures: Ein (fast) vergessenes Subgenre - User-Special

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    • Full Motion Video-Adventures: Ein (fast) vergessenes Subgenre - User-Special

      Mit Tesla Effect: A Tex Murhy Adventure gelang dem schon längst tot geglaubten FMV-Adventures vor wenigen Jahren ein - wenn auch nicht unbedingt von allen Gamern gleichermaßen beachtetes - Comeback. Dieses kurze Special widmet sich diesem Teilbereich der Videospiele, wirft dabei einen Blick zurück in die Vergangenheit und spannt den Bogen Richtung Gegenwart und Zukunft.

      Full Motion Video (Abk.: FMV), also den Einsatz von Filmsequenzen in Videospielen, findet und fand man nicht nur in Adventures. (Render-)Videos gab es bereits im allerersten Teil der Command & Conquer-Strategie-Reihe (1995) zu sehen, aber beispielsweise auch in Wing Commander, einer in den Jahren 1990 bis 2007 recht beliebten Serie, die Elemente aus Weltraum-Simulation und Action geschickt miteinander verband.

      In diesem Beitrag soll es aber nicht um Strategie-Titel gehen, sondern um Adventures, in denen - mal mehr, mal weniger - Filmsequenzen zum Einsatz kommen und die es zu einer gewissen Bekanntheit gebracht haben. Das Special erhebt nicht den Anspruch, das weite Feld der FMV-Adventures umfassend darzustellen, denn dies würde den Rahmen eines solchen User-Artikels sprengen. Stattdessen werden in dem Zusammenhang Titel erwähnt, mit denen ich mich intensiver (manchmal aber auch nur am Rande) beschäftigt habe und die mir in Erinnerung geblieben sind, wobei diese Erinnerung nicht immer eine rundum positive sein muss und auch Lücken aufweisen kann.

      Fragt man Fans und Kenner des hier behandelten (Sub-)Genres, dann sind viele der Meinung, dass man die Hälfte aller FMV-Adventures getrost in die Tonne hauen kann. Vermutlich ist das untertrieben. Als vorsichtige Schätzung sei gewagt: wegweisend oder zumindest empfehlenswert waren (und sind) vielleicht 2 bis 3 Prozent aller FMV-Adventures. Höchstens. Der Rest ist nicht der Rede wert - oder aber totaler Schrott. Wir wollen uns deshalb nicht lange aufhalten mit Titeln, die niederzuschreiben sich die Tinte meiner Feder sträubt, sondern gleich mit allgemein bekannten FMV-Adventures starten. Mit Titeln, die den Stein ins Rollen brachten und/oder die zu spielen sich auch heute noch lohnen kann.

      Revolutionäre

      The 7thGuest, 1993 veröffentlicht, als erstes FMV-Adventure zu bezeichnen, wäre falsch. Denn schon in den 1980er Jahren gab es Adventures, die Videosequenzen und/oder Filmszenen mit echten Schauspielern enthielten. Dennoch kommt dem Titel, der von Trilobyte entwickelt wurde, eine besondere Bedeutung zu. Als eines der ersten Spiele, die für die seinerzeit noch ganz junge CD-ROM-Technologie auf den Markt kamen, nutzte es die Möglichkeiten der erweiterten Speicherkapazitäten und bot eine (für jene Zeit) atemberaubende Grafik. Der in TV-Spots nachhaltig beworbene Augen- und Ohrenschmaus, der mit enormen Hardwareanforderungen einher ging und damalige Rechner an die Grenzen ihrer Belastbarkeit führte, war so gefragt, dass The7th Guest sogar von Spielern gekauft wurde, die mit Adventures sonst nichts am Hut hatten. In Sachen Gameplay galt der Titel, der die Villa eines teuflischen Puppenschnitzers zum Schauplatz hatte, rein spielerisch im Prinzip aber nur eine Aneinanderreihung langatmiger Intelligenz- und Geduldsspiele war, als relativ schwach. Aber die Akteure bzw. Gäste - im Rahmen der Vor-, Zwischen- und Endsequenzen von realen Schauspielern dargestellt - wurden "filmisch" in die (Spiele-)Grafik integriert. Die Netto-Film-Zeit (Szenen mit Darstellern) betrug ca. 40 Minuten - für ein Spiel jener Jahre ungewöhnlich viel.

      Als revolutionär (erfolgreich) sollte sich noch ein anderes Adventure erweisen, das ebenfalls 1993, nur wenige Monate nach The 7th Guest, erschien: Myst. Der erste Teil verkaufte sich über sechs Millionen Male (dreimal so gut wie The 7th Guest, von dem "nur" zwei Millionen Exemplare über die Ladentheke gingen) und legte damit das monetär gesicherte Fundament für eine ganze Serie. Auch Myst, welches in einer surrealen Umgebung spielte und Knobel-Freunde vor allem mit Maschinen-Rätseln konfrontierte, konnte mit hoher Grafikqualität und Animationen in Form von Filmszenen aufwarten. Beide Adventures, also Myst und The 7th Guest, sahen sich jedoch schon damals dem Vorwurf ausgesetzt, Grafik-Blender zu sein. Myst wurde sogar vorgehalten, mit all seinen schicken Render-Bildern und der optischen Brillanz nur die im Prinzip schwache Spielmechanik übertünchen zu wollen und mangels tiefgründiger Story-Elemente den zeitweiligen Niedergang des Adventure-Genres, dessen besondere Stärke bekanntermaßen die "Erzählkunst" ist, wesentlich mit verantwortet zu haben. Dem kommerziellen Erfolg der Reihe geschadet hat dies letzten Endes nicht. Lange Jahre war die Myst-Reihe, welche stark von den Werken des französischen Schriftstellers Jules Verne (und dessen Faible für Technik und fantastische Szenerien) inspiriert ist, die meistverkaufte Computerspiel-Serie, bis sie später von der Lebenssimulation The Sims eingeholt wurde.

      Wenn man einen revolutionären Wegbereiter auf dem Gebiet der FMV-Adventures nennen soll, dann aber vor allem Tex Murphy. Wurden Filmsequenzen in den ersten beiden Murphy-Teilen Mean Streets (1989) sowie Martin Memorandum (1991), nicht zuletzt aufgrund der Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre stark limitierten (Speicher-)Möglichkeiten von Disketten - noch sehr sparsam eingesetzt, brachte das dritte Tex Murphy-Abenteuer Under a killing Moon - entwickelt vom (2006 aufgelösten) Access Software-Studio und gemeinsam mit Eidos Interactive auf vier CD-ROMs gepresst und 1994 veröffentlicht - mehrere Stunden Videosequenzen und damit den endgültigen Durchbruch. Nicht nur für die Tex Murphy-Reihe, sondern für das Subgenre insgesamt. Under a killing Moon, wohl das bis dato erfolgreichste Spiel der T.M.-Serie, galt ab da als Quasi-Referenz, an der sich alle nachfolgenden FMV-Adventures zu messen hatten. Viele taten sich dabei schwer, denn gegen den sympathischen Hauptcharakter und Detektiv Tex Murphy (dargestellt von Chris Jones, der die Reihe auch designte), dessen "affektierten Humor in Verbindung mit der beeindruckenden 3D-Szenerie in diesem futuristischen FilmNoir" (Computer Gaming World) und vor dem Hintergrund des ebenso interessanten wie spaßigen Szenarios eines teilweise mit Mutanten bevölkerten San Franciscos der Zukunft, hatte die Konkurrenz wenig ins Feld zu führen.

      Under akilling Moon konnte außerdem eine prominente Besetzung ins Rennen schicken. Neben der kanadischen Schauspielerin Margot Kidder (Superman) Hollywood-Urgestein Brian Keith (Nevada Smith). Keith hatte in diesem dritten Tex Murphy-Abenteuer einen seiner letzten Auftritte. Im Juni 1997 nahm sich der an Lungenkrebs erkrankte Star durch einen Gewehr-Schuss das Leben. Auch in anderen FMV-Adventures traten - neben einer ganzen Reihe äußerst mittelmäßiger Darsteller - immer wieder Schauspieler von Weltrang auf. Nicht selten handelte es sich dabei um ältere Stars, die auf dem TV-Bildschirm oder der Kinoleinwand ihre ganz großen Zeiten schon hinter sich hatten, beispielsweise Dennis Hopper (Easy Rider) im Film-Adventure Hell (1994) oder 1970er Jahre-Frauenschwarm Michael York (Cabaret, Die drei Musketiere) in Tex Murphy: Overseer(1998). Auch Superstar Christopher Walken, der für seine Leistungen als "Bester Nebendarsteller" im Anti-Kriegsfilm Die durch die Hölle gehen einst den Oscar erhielt, hatte Auftritte in Computerspielen, so im Adventure Ripper und der Weltraum-Flugsimulation Privateer 2: The Darkening (beide 1996), die jeweils reichlich Videosequenzen enthielten.





      Höhepunkt und Niedergang - die Jahre 1995 bis 1998

      Dem tiefen Fall geht zunächst der steile Aufstieg voraus. Und so ist bzw. war es auch bei FMV-Adventures. Das Jahr 1995 kann dabei als insgesamt erfreuliches Spiele-Jahr angesehen werden. Denn zu dieser Zeit brachte Sierra Entertainment mit Phantasmagoria ein äußerst spannendes und mit The Beast Within: A Gabriel Knight Mystery (unter Fans oft einfach nur Gabriel Knight 2 genannt) das bis heute vielleicht beste FMV-Adventure auf den Markt. Phantasmagoria (Untertitel: Beten Sie, dass es nur ein Alptraum ist) wurde auf sieben CD-ROMs ausgeliefert und führt uns in eine gespenstische Gegend in Neu-England, auf eine kleine Insel, wo ein junges Ehepaar ein viktorianischen Landhaus bezogen hat und die Frau von schrecklichen Visionen heimgesucht wird, während ihr Gatte bösartige Eigenschaften annimmt, immer mehr ausrastet und damit zu einem lebensbedrohlichen Beziehungsproblem wird. Auch wenn Phantasmagoria (wie überhaupt viele ältere FMV-Adventures) aus heutiger Sicht wie billiger Trash rüberkommt und die Rätsel nicht sonderlich anspruchsvoll waren, erntete es wegen seiner gruseligen Atmosphäre durchweg begeisterte Kritiken und wurde in Cannes (Frankreich) sogar mit der Goldenen Milia ausgezeichnet. Mit mehr als 1.000.000 verkauften Exemplaren war der Titel, der jede Menge Filmsequenzen enthielt und sich, was die Darstellung von Gewalt und Sex betrifft, weniger zurücknahm als vergleichbare Produkte, auch kommerziell erfolgreich.



      Ende '95 startete The 11th Hour, der Nachfolger zu The 7th Guest. Das Sequel präsentierte sich düsterer und blutiger als der berühmte Vorgänger. Mit über sechzig Minuten Videosequenzen gab es jetzt mehr "Film" zu sehen als knapp zweieinhalb Jahre zuvor, als Trilobytes erstes Abenteuer mit dem ominösen Spielzeug-Macher und Schloss-Besitzer Henry Stauf erschienen war. Die Schauspieler wurden diesmal auch nicht als halb durchsichtige Geister-Gestalten dargestellt, sondern "vollständig". Dennoch blieb der ganz große Hype aus. In puncto Horror hatte Phantasmagoria deutlich die Nase vorn. Und konnte The 7th Guest 1993 immerhin noch für sich beanspruchen, als eines der ersten CD-ROM-Spiele technisch wegweisend gewesen zu sein, so war die CD-ROM-Technologie zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von The 11th Hour (1995) schon etabliert und hatte die 3,5-Zoll-Diskette als bestimmendes Speichermedium längst abgelöst. Zudem war jenes Manko geblieben, das sich bereits in The 7th Guest als Spielspaß-Bremse entpuppt hatte: das sperrige Rätseldesign. Auch in The 11th Hour wimmelte es von langwierigen und staubtrockenen Denksportaufgaben, wie man sie so oder ähnlich zumeist in Rätselheften findet, die aber in ein Grusel-Adventure nicht so rechtpassen wollen, weil sie den Spielfluss unnötig hemmen und zu sehr von der eigentlichen Handlung ablenken.

      Um dieselbe Zeit wie The 11th Hour erschien ein Titel, den man ohne Übertreibung zu den Spitzen-Produkten aus dem Segment der FMV-Adventures zählen darf: The Beast Within - A Gabriel Knight Mystery (Gabriel Knight 2). Verantwortlich für den Inhalt zeichnete die US-amerikanische Spiele-Autorin Jane Jensen, aus deren Feder bereits das erste, mehrmals ausgezeichnete und noch komplett in herkömmlicher Spiele-Grafik gehaltene Gabriel Knight-Adventure Sins of the Fathers (1993) stammte (im Oktober 2014 erschien dazu eine grundlegend überarbeitete Neuversion). Für Gabriel Knight 2, in dem es um Ludwig II. und Wolfsmorde in Bayern geht, reiste Jensen eigens nach Süddeutschland und nahm mit ihren Kameraleuten Originalschauplätze auf, in denen die Schauspieler, die weiterhin in den heimischen Entwickler-Studios im Bluescreen-Verfahren aufgenommen wurden, anschließend nur noch eingefügt werden mussten, wodurch die einzelnen Locations im fertigen Spiel besonders authentisch wirkten. In Gabriel Knight 2 kamen - ähnlich wie in Phantasmagoria - durchgängig Filmszenen bzw. Darsteller zum Einsatz. The Beast Within - A Gabriel Knight Mystery verkaufte sich besonders gut im englischsprachigen Raum, erhielt aber auch hierzulande gute Kritiken. Gleichzeitig aber war mit Gabriel Knight 2 der kreative Höhepunkt weitgehend erreicht. Verbesserungen auf dem Gebiet der FMV-Adventures erwarteten die Spieler fortan hauptsächlich aus dem produktionstechnischen Bereich.



      Angespornt durch hohe Verkaufszahlen und die mediale Beachtung, die Spiele wie Phantasmagoria und Gabriel Knight 2 Mitte der 1990er Jahre in der Gamer-Welt erfuhren, setzten immer mehr Entwickler und Publisher voll auf den Trend und brachten FMV-Adventures auf den Markt. Viele - vor allem aber zu viele schlechte. Es dauerte nicht lange, bis das (Sub-)Genre übersättigt war. Die erdrückende Zahl qualitativ minderwertiger Produkte führte nicht nur dazu, dass FMV-Adventures allgemein in Verruf gerieten, sondern hatte auch zur Folge, dass selbst gute Titel kaum noch zur Kenntnis genommen wurden, weil sie in der Masse untergingen. Abwärtsbewegungen waren bereits 1996 deutlich erkennbar. Im (Früh-)Sommer '96 erschien mit The Pandora Directive das vierte Tex Murphy-Abenteuer, ein "Interactive Movie". Von Testern wurde die neue Detektiv-Folge mit Chris Jones als Protagonisten aufgrund der gestiegenen Komplexität und der enormen Spieltiefe begeistert aufgenommen und diese galt damals als bester Teil der Reihe. Nicht wenige Spiele-Magazine bezeichneten The Pandora Directive sogar als "PC Game des Jahres 1996" und vergaben entsprechende Auszeichnungen. Geholfen hat dies nicht. Das Ansehen des FMV-Segments war bereits zu stark angeschlagen und Pandora konnte nicht an den (Verkaufs-)Erfolg von Under a killing Moon anknüpfen. Ein ähnliches Schicksal erlitt der Ende 1996 veröffentlichte zweite Teil von Phantasmagoria (Untertitel: Labor des Grauens), der im Gegensatz zu seinem bekannten Vorgänger allerdings allerhand negative Wertungen einstecken musste und vielleicht auch deshalb nicht so viele Fans fand.

      In eine ähnliche Richtung wie Phantasmagoria zielte das im August/September 1996 erschienene Harvester, welches auch heute noch zu den blutigsten FMV-Adventures gehört. In dem Third-Person-Adventure übernehmen wir die Rolle eines an Amnesie leidenden jungen Mannes, der in den 1950er Jahren in der Nord-amerikanischen Kleinstadt Harvest erwacht und dort mit allerhand bestialischer Grausamkeiten konfrontiert wird. Auch wenn das Spiel wegen seines schwarzen Humors und seiner bissigen Anspielungen auf US-amerikanische Gepflogenheiten bzw. der daraus mitunter resultierenden Scheinmoral auch Anhänger fand, so war der Titel letzten Endes ein kommerzieller Reinfall. In Deutschland landete Harvester aufgrund bestimmter Filmszenen, die - wenn oft auch in ganz bewusst überzeichneter, ironisierender Weise - explizite Gewalt zeigten, vorübergehend auf dem Index. Eine amerikanische Spiele-Testerin empörte sich und nannte den Titel "einfach nur dämlich und widerwertig". Inzwischen ist Harvester auch hierzulande wieder erhältlich, über Online-Distributionsplattformen wie Steam oder GOG.com.

      Ob einige Spiele aus jener Zeit nun zu Recht oder Unrecht gescholten wurden... -: der Lack war ab. Den vorläufigen Schluss-Strich setzte ausgerechnet eine Serie, die dem (Sub-)Genre einst zum großen Durchbruch verholfen hatte: Tex Murphy. Overseer, in der ersten Jahreshälfte 1998 veröffentlicht, war der fünfte und für viele Jahre letzte Teil der Detektiv-Reihe. Obschon Overseer nach allgemeiner Auffassung nicht zu den besten T.M.-Abenteuern zählt, galt dieser fünfte Teil aus damaliger Sicht als halbwegs gelungener Abschluss der FMV-Adventure-Ära. Dabei war Overseer im Prinzip nur ein Remake des ersten T.M.-Adventures Mean Streets. Der Hintergrund war, dass dem Designer-Duo Conners/Jones für die Entwicklung nur ein kleines Zeitfenster zur Verfügung stand, so dass man keine neue Story entwickeln konnte, sondern auf alte Inhalte zurückgreifen musste. Das Spiel, das gestalterisch an der bewährten Kombination aus 3D-Umgebungen und Filmszenen festhielt, endete mit einem Cliffhanger, weil es anschließend noch eine Fortsetzung geben sollte. Kurz darauf wurde Access Software aufgekauft. Doch Neubesitzer Mircosoft schenkte dem Titel keine weitere Beachtung, betrieb quasi keine PR für ihn, weshalb Tex Murphy: Overseer im Markt versickerte und floppte.

      Nicht nur der Erfolg, auch der Misserfolg hat für gewöhnlich mehrere Ursachen. Wenn man den schleichenden Niedergang der FMV-Adventures betrachtet, dann muss man sicherlich noch andere Dinge berücksichtigen. Mit Valves Half-Life kam 1998 ein Spiel auf den Markt, welches das Ego-Shooter-Genre revolutionierte. Die neuen Impulse gingen also jetzt von anderen Bereichen des Videospiele-Universums aus. Inzwischen war auch eine jüngere Gamer-Generation nachgewachsen, denen Spiele, die Rätsel zum Inhalt hatten und damit geistig forderten, einfach zu anstrengend waren. Tempo und Action waren nun angesagt, wodurch das Adventure-Genre insgesamt an Bedeutung verlor.

      Denn auffallend ist: Von dem Abwärtstrend waren nicht etwa nur FMV-Adventures betroffen. Auch herkömmliche Point & Click-Adventures hatten es ab Ende der 1990er zunehmend schwerer (nebenbei: Ähnliches galt z.B. auch für Rundenstrategie-Spiele wie Panzer General). Das von Testern in höchsten Tönen gelobte Grim Fandango aus dem Jahre 1998 (Anfang 2015 erschien eine technisch überarbeitete Neuversion) erwies sich als Verlustgeschäft und leitete damit das Ende der Lucas Arts-Adventures ein. Und das wieder vollständig in traditioneller Spiele-Grafik entwickelte Gabriel Knight 3, welches 1999 erschien, verkaufte sich so schlecht, dass es - entgegen ursprünglicher Überlegungen - keine weitere Fortsetzung gab.

      Auch Versuche, Adventure- und Shooter-Elemente miteinander zu vermengen, scheiterten. Ein Beispiel aus der Ära der FMV-Adventures ist das um die Jahreswende 1996/1997 veröffentliche Realms of the Haunting, welches beide Dinge unter einen Hut zu bringen versuchte. Der Titel bestach durch eine tolle Atmosphäre, gute Schauspieler und bot eine für meine Begriffe ausgewogene Mischung aus Action und Rätseln. Allerdings wurde auch dieses Spiel vom Markt bzw. den Käufern nicht wirklich angenommen und verschwand schnell wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung.

      Ende der 1990er Jahre waren Adventures komplett am Boden, out, abgeschrieben. Namenhafte Entwickler und Publisher hätten um die Jahrtausendwende keinen Cent mehr auf dieses Genre gewettet. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Und so sollte es auch diesmal sein.

      FMV-Adventures in jüngerer Vergangenheit und Gegenwart- der Zeitraum 2002 bis heute

      Über drei Jahre sollten vergehen, bis das Adventure-Segment zu neuen Höhenflügen ansetzte. 2002 erschienen bei uns mit Syberia und Runaway: A Road Adventure zwei viel beachtete Point & Click-Adventures, die dem Genre wieder Leben einhauchten und auch fortgesetzt wurden. Fortsetzungen gab es in den Folgejahren auch zu ähnlich erfolgreichen Adventures wie beispielsweise Black Mirror (2004) oder Still Life (2005). FMV-Adventures waren weitaus weniger präsent, aber es gab sie. In den Jahren 2001 bis 2005 erschienen mehrere Myst-Teile, die - wie die ersten Teile aus den 1990ern - Videoszenen enthielten. Sogar klassische First-Person-Adventures wie The Omega Stone (2003), Barrow Hill (2006), Outcry: Die Dämmerung (2009) oder Baron Wittard: Das dunkle Geheimnis von Utopia (2011) bedienten sich des Einsatzes von Filmaufnahmen, wenn auch meist nur im Rahmen kurzer Vor- bzw. Intro-Sequenzen.

      Bezogen auf die 2000er Jahre werden mir besonders zwei Adventures nachhaltig in Erinnerung bleiben. Zwar keine 100%igen Film-Adventures, denn dazu ist der Anteil von Videosequenzen - wie bei den meisten hier erwähnten Spielen - zu gering; jedoch enthielten beide FMV-Elemente: In Memoriam (2003) sowie der Nachfolger InMemoriam 2: Das letzte Ritual (2006). Dort hefteten wir uns an die Fersen eines Serien-Killers, der seine Opfer zunächst entführte, um sie später nach einem uralten, an die Zeit der Tempelritter erinnernden Ritual zu ermorden. Bei beiden Spielen handelte es sich um Adventures, für welche die Entwickler den Spielern hunderte von Seiten zwecks Online-Recherche ins Internet gestellt hatten. Von einem (wahn-)witzigen Psychopathen, der sich "Phoenix" nannte, bekam man Emails und SMS-Botschaften an die eigene, des Spielers, (Internet-)Adresse geschickt, wurde so Teil des Ganzen und einem ständigen Nervenkrieg ausgesetzt. Bestimmte Filmsequenzen waren so verstörend und geschickt platziert, dass man sich selbst vor dem heimischen PC nicht mehr sicher fühlte und fast vergaß, dass es sich hierbei nur um ein (Video-)"Spiel" handelte. Leider zog In Memoriam das bittere Los vieler innovativer (FMV-)Adventures: die breite Käuferschicht konnte damit nur wenig anfangen und ignorierte es. Nach ein paar weiteren, durchaus interessanten, aber letztendlich kommerziell erfolglosen Titeln (u.a. dem 2008 veröffentlichen Experience 112) mussten die zuständigen Entwickler von Lexis Numérique 2014 schließlich Insolvenz anmelden.



      2010 erschien die Krimi-Trilogie Casebook, zunächst als kostenpflichtiges Download-Paket. Doch der Thriller, der komplett aus Filmszenen bestand, fand wenig Resonanz. Gedanken an eine Fortsetzung des Episoden-Adventures verliefen deshalb schnell wieder im Sande. Im Juni 2011 äußerte der für Casebook verantwortliche Creative Director Sam Clarkson:"Wir haben alle Schauplätze erstellt und eine großartige Story gefilmt, aber in Produktion ist das Ganze leider nie gegangen. ... Bis hierhin rechtfertigt die Nachfrage nach Casebook es leider schlicht und ergreifend nicht, die Kosten in Kauf zu nehmen, die uns entstehen, wenn wir das Produktionsteam ein weiteres Mal zusammenbringen."

      Auch"Spiel-Filme", die an ganz anderen Themen-Ufern fischten, wollten nicht so recht zünden. Das futuristische Darkstar (in den USA bereits 2010, in Deutschland 2011 veröffentlicht) erhielt nur mäßige Noten. Ungeachtet dessen gab es in den letzten Jahren Lichtblicke. Erneut war es Tex Murphy, der den FMV-Adventures zu einem kleinen Comeback verhalf. Im Mai 2014, gut sechzehn Jahre nach Overseer, erschien mit Tesla Effect, in welchem den Erfindungen des Physikers und Elektroingenieurs Nikola Tesla tragende Bedeutung zukommt, das insgesamt sechste und möglicherweise sogar beste Tex Murphy-Abenteuer. Das Film-Adventure, das via Kickstarter-Kampagne finanziert wurde und als Download über Steam und GOG.com erhältlich ist, zeigt einen älter gewordenen, aber immer noch erstklassigen Chris Jones in der Rolle des namens gebenden Detektivs, präsentiert sich in zeitgemäßer Grafik und bietet Story- und Rätsel-Elemente auf gewohntem Niveau.

      2015 erschien mit Contradiction ein reines Film-Adventure (d.h. das Geschehen wird ausschließlich anhand von Videosequenzen und Schauspielern dargestellt), welches - wie Tesla Effect- (sehr) gute Kritiken für sich verbuchen konnte. Auch hier übernehmen wir die Rolle eines Detektivs, müssen in einem kleinen englischen Dorf einen Vermissten-Fall aufklären und dabei zahlreiche Personen befragen. Auch FMV-Adventures wie Her Story (2015), The Bunker (2016) oder The Infectious Madness of Doctor Dekker (2017) schafften es bei Kennern des (Sub-)Genres zu einer relativen Bekanntheit.

      Die Zukunft der FMV-Adventures

      Was die Zukunft für FMV-Adventures bereit hält? Einfache Antwort: Ich weiß es nicht. Games wie Tesla Effect: A Tex Murphy Adventure, Contradiction und The Bunker beweisen, dass das (Sub-)Genre sein Pulver noch nicht verschossen hat, auch wenn diese Titel im Ausland zumeist bekannter sind als in Deutschland und Spiele dieser Art wohl auch deshalb meist nur in englischer Sprache erscheinen. FMV-Adventures werden es jedenfalls nicht einfacher haben als in der Vergangenheit. Indie-Titel wie The Vanishing of Ethan Carter zaubern bereits jetzt eine nahezu fotorealistische Grafik auf den Monitor. Man ist also - anders als noch in früheren Jahren und Jahrzehnten - nicht mehr auf Filmsequenzen angewiesen, um Schauplätze, Personen und Objekte möglichst "echt" darstellen zu können.

      Die Herstellung von FMV-Adventures ist zudem sehr kostspielig, spätestens dann, wenn man prominente Schauspieler verpflichten will, um eine höhere Publikumsnachfrage zu erreichen. Bei näherer Beobachtung und wenn man Erfahrungen zugrunde legt, wird man aber feststellen, dass bestimmte Trends und Moden immer wiederkehren. Oft etwas abgewandelt, aber im Prinzip doch auf längst Dagewesenes zurückgreifend. Deshalb werden auch FMV-Adventures - so lange es Videospiele in der uns bekannten Form noch gibt - nicht völlig verschwinden, so wie sie eigentlich nie völlig verschwunden waren. Also harre ich weiterhin der Dinge, die da kommen und erwarte mit Spannung The 13th Doll, das (Fan-)Remake zu The 7th Guest.


      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von BigJim ()

    • Danke für den Bericht.
      Mich hat das Genre anfang der 90er so sehr interessiert, dass ich mir vom Konformationsgeld ein MegaCD gekauft habe...um dann aber festzustellen, das es spielerisch einfach nicht mein Fall ist.
      Auf PC zb kamen dann aber doch noch ein paar brauchbare Titel.

      Ach ja, Comand & Conquer startete nicht 1990, sondern 1995


    • Ich liebe dieses Genre.
      Bin quasi damit groß geworden. Mein erster PC war ein Pentium 3 mit 500 MHz.
      Das war so vor ca 22-23 Jahren. Da waren die fmv games für wenig Geld zu haben. Weiß noch wie ich als 14 jähriger mit zittrigen Händen phantasmagoria kaufte. Hat die Verkäufer nicht so sehr interessiert. Damals war das wohl so bei uns :D

      Toller Bericht der mir einige Flashbacks bescherte. Lustig war auch days of oblivion, urban runner, fox hunt von capcom (ja sogar die haben ein fmv game gemacht)
    • Late Shift hat echt Spaß gemacht.

      Bin ja am überlegen ob ich mir "The Infectious Madness of Doctor Dekker" auch noch zulegen soll, aber irgendwie klingt das von er Beschreibung her nicht wirklich toll...
      "Wer weiss was wirklich in unseren Köpfen steckt. Haben sie schon einmal ihr Pelzhirn gesehen?"
      - Major Mewtoko Katzanagi, Section 9 / Cat in the Shell
    • Überhaupt nicht mein Genre - aber toller Artikel! Die einzigen FMV-Spiele, an die ich mich erinnere sind Critical Path, Hardline und Ripper. Wobei von denen meiner Erinnerung nach nur Ripper ganz gut war. Die Night Trap Retail hab ich leider verpasst letztes Jahr, aus einer seltsamen Trash-Laune heraus hätte ich mir das gern mal angesehen.
      You can not imagine the immensity of the f*ck I do not give.

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    • Badhero schrieb:

      Ach ja, Comand & Conquer startete nicht 1990, sondern 1995
      Ist korrigiert. Vielen Dank für den Hinweis!

      sYntiq schrieb:

      Bin ja am überlegen ob ich mir "The Infectious Madness of Doctor Dekker" auch noch zulegen soll, aber irgendwie klingt das von er Beschreibung her nicht wirklich toll...
      Ist halt Geschmacksache. Deshalb ist es schwer, da Empfehlungen zu geben. Ich fand's ganz unterhaltsam. Contradiction gefiel mir aber noch etwas besser.


    • BigJim schrieb:

      Ist halt Geschmacksache. Deshalb ist es schwer, da Empfehlungen zu geben. Ich fand's ganz unterhaltsam. Contradiction gefiel mir aber noch etwas besser.
      Klar. FMV ist ja auch nicht gleich FMV. Das Genre der FMV Spiele deckt ja gleich wieder mehrere Genres ab. Late Shift ist ja zB. auch eher ein interaktiver Spielfilm und weniger ein Adventure.

      Contradiction sieht auch nett aus. Aber ob ich das auf dem iPad spielen will? (Hab ja keinen PC)
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      - Major Mewtoko Katzanagi, Section 9 / Cat in the Shell
    • Eine recht umfassende Liste zum Thema gibt’s hier: fmvworld.com/allgames.html

      /e Scheint aber nicht mehr ganz aktuell zu sein, zumindest Late Shift (2016) fehlt auf den ersten Blick.
      /e2 Hmmm, das aktuellere Doctor Dekker (2017) ist allerdings vermerkt.
      You can not imagine the immensity of the f*ck I do not give.

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      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von bluntman3000 ()

    • BigJim schrieb:

      Spielst Du nicht auch auf Xbox One? Dann könnte The Bunker eventuell was für Dich sein. Das ist zudem für Konsole(n) erhältlich:

      Cormac schrieb:

      Soweit ich weiß spielt er nur Switch, aber dafür gibt es the bunker mittlerweile auch :)

      Jein. Ich habe zwar ein paar Konsolen mehr, aber Xbox One und PS4 gehören bisher nicht dazu. Ansonsten aber im gründe richtig: Der Schwerpunkt liegt zur Zeit tatsächlich auf der Switch. :)

      Btw: The Bunker habe ich bereits durchgespielt.
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