(PC) In Memoriam 2: Das letzte Ritual

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    • (PC) In Memoriam 2: Das letzte Ritual

      Mit dem Suspense-Thriller In Memoriam kam Ende 2003 ein ungewöhnliches Adventure auf den Markt, das aufgrund seiner eigenwilligen Mischung aus Realität und Fiktion viele Kritiker begeistern konnte. Die interaktive Verbrecher-Jagd auf einen Serienkiller war damals besonders spannend, weil der Spieler hier nicht – wie sonst üblich – als Außenstehender die Rolle einer zumeist aus der Verfolgerperspektive zu steuernden kriminalistisch versierten Hauptperson (z.B. Sherlock Holmes) übernahm und als solche handelte, sondern selbst Teil des Geschehens war. Man wurde gehandelt – und zwar von einem mit allen Facetten des Zynismus ausgestatteten Killer, der offenbar großen Gefallen daran fand, Köder nach seinen Jägern auszuwerfen bzw. ihnen Hinweise zukommen zu lassen.


      Besagter Serienkiller nennt sich „Phoenix“. Er gilt als besonders brutal und tötet seine Opfer nach einem uralten, an die Zeit der Tempelritter erinnernden Ritual. Doch bevor es dazu kommt, quält Phoenix seine Opfer und übt gleichzeitig auch Psycho-Terror auf diejenigen aus, die beruflich mit dem Gepeinigten in Verbindung stehen. In Memoriam 2 hat es den bereits aus dem ersten Teil bekannten Journalisten Jack Lorski erwischt. Der Pressemann wurde von Phoenix entführt. Wochen darauf erhält die ICPA (International Committee for the Phoenix Arrest) – eine Art Nachrichtenring, bestehend aus Freunden und Journalistenkollegen von Jack Lorski, welche sich schon vor Jahren die Ergreifung des Killers zum gemeinsamen Ziel gemacht haben – von Phoenix eine CD mit kryptischen Hinweisen zugeschickt. Der Serienkiller gibt sich sportlich und kündigt Lorskis besorgter Anhängerschaft ein Katz- und Mausspiel an. Denn den Entführten sofort zu ermorden, wäre viel zu einfach und würde dem spitzbübischen Sadisten keinen Spaß machen. Vorher will Phoenix erst noch psychischen Druck auf seine Verfolger ausüben, sie durch (Des-)Informationen auf richtige und falsche Spuren führen und alle Beteiligten so einem ständigen Nervenkrieg aussetzen. Die ICPA wendet sich darauf hin an die breite Öffentlichkeit und bittet um deren Mithilfe. Wir, also die Spieler, schließen uns der Aktion an und erhalten mit vorgenannter CD automatisch die Möglichkeit, unmittelbar an der Verbrecherjagd teilzunehmen. Und wir sind es auch, die den Fall – einen nicht zu unterschätzenden Rechercheaufwand sowie eine gehörige Portion Ausdauer vorausgesetzt – letzten Endes zum Abschluss bringen werden. Also: Gong frei zum letzten Ritual.


      In Memoriam 2 – im Oktober/November 2006, also ziemlich genau drei Jahre nach Teil 1, veröffentlicht – wurde von Lexis Numérique entwickelt, jenem Studio, das bereits für den Vorgänger verantwortlich zeichnete. So kann es nicht überraschen, dass das Team an der bewährten Konzeption des ersten In Memoriam festhielt. Veränderungen/Verbesserungen finden sich vor allem im (produktionstechnischen) Detail. Zu Beginn von Memoriam 2 wird der Spieler vom Computer gefragt, ob er den ersten Teil kennt. Gewisse Kenntnisse darüber sind hilfreich, aber nicht notwendig. Denn wer den Vorläufer nicht kennt, bekommt noch mal eine Zusammenfassung bzw. alle wesentlichen Infos zu In Memoriam präsentiert. So finden sich auch „Neulinge“ schnell in die Geschichte ein.


      Wer Vergleiche zwischen In Memoriam und Spielfilm-Thriller wie „Sieben“ zieht, liegt sicher nicht ganz falsch. Allerdings hat der Nervenkitzel seinen Preis. Denn das packende Mitten-drin-Gefühl, welches in dieser Intensität wohl nur die wenigsten (Krimi-)Spiele vermitteln, geht einher mit viel Arbeit. Schließlich ist In Memoriam kein typisches Rätsel-Abenteuer, bei dem man seinen Charakter in klassischer Point & Click-Manier von A nach B bewegt und zwischendurch kleinere Knobelaufgaben lösen lässt, sondern ein Online-Adventure, für das die Entwickler ursprünglich über 500 Internetseiten ins Netz gestellt hatten. Neben einer stabilen Internetverbindung darf beim Spieler also ein häufiger Umgang mit Suchmaschinen bzw. die Bereitschaft zu Online-Recherchen erwartet werden. Der Zeitaufwand ist entsprechend hoch, zumal es Phoenix seinen Verfolgern nicht leicht macht. Außerdem kommt bei In Memoriam ein Nachteil vieler Online-Games hinzu: die Spielbarkeit wird mit steigendem Alter des Produkts immer schwieriger. Werden die hauseigenen Server des Entwicklers nicht mehr betreut oder gar abgestellt, lässt das Interesse der ohnehin recht kleinen Community nach, dann sind viele Informationswege, die in der Anfangszeit, d.h. bei Veröffentlichung des Thrillers zur Verfügung standen, später nur noch schwer zugänglich. Dies bedeutet nicht, dass Interessenten auf „Das letzte Ritual“ verzichten müssten. Man sollte sich jedoch auf einen erhöhten Recherche-Aufwand einstellen und ggf. den Rat von In Memoriam-Fans oder den Gebrauch einer Komplettlösung (gibt’s kostenlos im Internet) in Erwägung ziehen. Ferner kann In Memoriam 2 Probleme auf aktuelleren Betriebssystemen (Windows 7) machen. Meine Suche nach Patches, die hier Abhilfe schaffen könnten, verlief leider ohne Erfolg, was ebenfalls darauf hindeutet, dass der Online-Thriller von offizieller Seite nicht mehr nachhaltig unterstützt wird. Immerhin: die SKL-Network-Site, bei der man bei (Spiel-)Start einen Account anlegen kann, befindet sich noch online (einfach mal „In Memoriam/SKL-Network“ in die Suchmaschine eingeben).


      Die umfangreichen Nachforschungen, die in „Das letzte Ritual“ angestellt werden müssen, führen uns vor allem nach Europa (Jack Lorski) und Nordamerika (Jessica Moses; so der Name einer Frau, die im späteren Spielverlauf wichtig wird). Unsere Recherchen werden begleitet und unterstützt von einer (erdachten) Community, mit der wir in Mail-Kontakt stehen. Elektronische Post gibt es auch von Phoenix persönlich. Denn der lässt es sich nicht nehmen, ab und zu an unsere (Internet-)Tür zu klopfen und den Spieler wissen zu lassen, dass er, Phoenix, viele unserer Schritte verfolgt und manchmal sogar auch unsere Gedanken zu kennen scheint, wie den spöttischen Kommentaren des (wahn-)witzigen Psychopathen dann auch unschwer zu entnehmen ist. So entsteht während der virtuellen Verbrecherjagd beim Spieler ein Gefühl ständiger Bedrohung. Bereits nach wenigen Stunden wird man so tief in den Strudel der Ereignisse hineingezogen, dass man fast vergisst, dass es sich bei In Memoriam 2 „nur“ um ein (Video-)Spiel handelt. Optional kommen SMS-Nachrichten hinzu, welche – wie die Mails, und je nach Absender – informieren, helfen, mitunter aber auch nur verwirren oder uns nervlichem Druck aussetzen sollen.


      Die Abende und Nächte, die ich seinerzeit mit In Memoriam (Teil 1 & 2) vor dem PC verbrachte, habe ich nicht gezählt. Es werden aber etliche gewesen sein. Selten hat mir ein Adventure so zu schaffen gemacht (der Schwierigkeitsgrad ist – ähnlich wie der Zeitaufwand – recht hoch, weshalb sich beide Titel für meine Begriffe auch nicht für Gelegenheitsspieler und Genre-Anfänger eignen), selten hatte ich bei einem Videospiel aber auch solche Erfolgserlebnisse, die sich spätestens dann einstellten, wenn man Phoenix wieder ein kleines Stück näher gekommen war. Stets ist man zwischen begeisterter Anspannung und Frust hin- und hergerissen. In jedem Fall braucht man einen längeren Atem und eine gewisse Leidensfähigkeit. Und man sollte Interesse an Geographie, Geschichte, Literatur und Naturwissenschaften/Technik mitbringen, denn die meisten Fragestellungen beziehen sich auf diese Themenbereiche. Angereichert wird das Ganze mit diversen Mini-Spielen (Reaktions- und Geduldsspiele). Insgesamt erwarten uns 36 Hauptaufgaben, welche sich wiederum in etliche Nebenaufgaben verästeln. Komplexe Soundrätsel gehören ebenso dazu wie die Umwandlung von Zahlen in Buchstaben (und umgekehrt), das Übersetzen wichtiger fremdsprachiger Textquellen (dafür bietet In Memoriam Übersetzungshilfen) und das Auswerten von eingespielten Videos und Bildern/Zeichnungen (teilweise mit Hilfe eines Analyseprogramms). Meist verlangt Phoenix die Eingabe eines bestimmten Wortes von uns, welches wir durch das intensive Studium von Berichten, Schriften, Filmen u.ä. ausfindig machen müssen, um im Spiel fortfahren zu können.


      Auch in technischer Hinsicht ist In Memoriam 2 ein außergewöhnliches Spiel. Wichtige (Text-)Quellen finden wir oftmals nur im Internet und die „Grafik“ bezieht sich hauptsächlich auf verstörende Bildcollagen und düster-gruseliges Videomaterial, akustisch flankiert von furchteinflößenden Wortfetzen, verzerrten Geräuschen und bekannten deutschen Synchronsprechern (D. Bierstedt, B. Krahl). Durch die Kombination all dieser Elemente ist es den Entwicklern gelungen, In Memoriam 2 atmosphärisch dicht und abwechselungsreich zu gestalten. Lediglich ein paar beinharte Rätsel unterbrechen stellenweise Spielfluss und Spielspass.


      Der Untertitel „Das letzte Ritual“ kann wörtlich genommen werden. Denn mit Teil 2 endete In Memoriam. Das ist im Prinzip schade, denn es gibt nur wenige Spiele dieser Art. Wahrscheinlich, weil es dafür zu wenige Interessenten bzw. Käufer gibt. Abseits der Massentauglichkeit werde ich In Memoriam 2 dennoch in guter Erinnerung behalten. Als ein Adventure, das mich einst in vielfältiger Weise in den Wahnsinn getrieben hat.



      Pro:


      + tolle Mischung aus Realität und Fiktion (Atmosphäre)


      + abwechselungsreiche und fordernde Rätsel


      + gute Vertonung


      + lange Spielzeit (> 50 h)



      Contra:


      - für Gelegenheitsspieler zu schwer und zu zeitintensiv




      Grafik: 80 %


      Sound: 80 %


      Bedienung: 80 %


      Spielspass: 90 %



      Gesamtwertung: 82 % (= „gut“)