Atari Jaguar Hardware im Test

Jaguar

Mit einem letzten Kraftakt stemmte sich die Atari Corporation nach sinkenden Verkaufszahlen im Homecomputersegment gegen das finanzielle Aus. Das Traditionsunternehmen aus Sunnyvale besinnte sich der eigenen erfolgreichen Wurzeln - der Spielkonsolen - und startete einen finalen Anlauf: den Jaguar

Bereits Anfang der 1990er Jahre befand sich Atari auf dem Abstellgleis. Obwohl zunächst alle Experten der Atari ST Computerreihe einen Sieg auf dem hartumkämpften Homecomputermarkt voraussagten, setzte sich letztlich doch der Commodore-Konkurrent Amiga durch. Auch die IBM kompatiblen Rechner stellten längst nicht mehr die staubigen Bürohengste wie noch in den 80er Jahren, sondern mauserten sich in den Bereichen Spiele & Multimedia immer mehr zu echten Alternativen.

Als sich die Marktlage für die ST-Reihe zusehends verschlechterte und auch der technisch kräftige, aber letztlich nur halbherzig veröffentlichte Falcon keine Abhilfe mehr schaffte, suchte man nach einem neuen Geschäftsfeld. Die Videospielbranche verzeichnete zu Beginn der 90er enorme jährliche Umsatzgewinne. Und mit Konsolen erzielte man ja bereits große Erfolge, was allerdings schon über eine Dekade zurück lag. Trotzdem setzte man eine neue Marschrichtung: Zurück in die (erfolgreiche) Vergangenheit.

Jaguar-2Überlegungen in diese Richtung (u.a. einen abgespeckten ST in Konsolenform) gab es in den vergangenen Jahren immer wieder, doch nichts ging letztlich über einen sehr frühen Status hinaus. Da kam es gelegen, dass die kleine Firma Flair dringend einen Geldgeber für ihre beiden Konsolenprojekte, ein 32 und ein 64 Bit System, benötigte. Die technischen Daten lasen sich auf dem Papier wirklich großartig. Gemessen an den technischen Fähigkeiten des damals populären Super Nintendo & SEGA Mega Drive, wischen die neuen Systeme mit beiden vorhandenen 16-Bittern den Boden auf. Also sicherte sich Atari die Rechte und die Entwickler von Flair arbeiteten von nun unter Leitung aus Sunnyvale weiter an ihrem 64-Bit Projekt. Den 32-Bitter mit Codenamen »Panther« ließ man hingegen recht bald unter den Tisch fallen. Angeblich soll man mit der Hardware unzufrieden gewesen sein, weshalb man alle Power auf den Jaguar konzentrierte.

Was heute als völlig normal gesehen wird, steckte damals noch in den Kinderschuhen: echte 3D-Grafiken. Die bisherigen Marktführer konnten zwar einen entsprechenden Effekt mittels Zusatzchips auf Modulen erzeugen, doch richtige 3D Welten bot nur die passend zum Lynx (engl. Luchs) und Falcon (engl. Falke) Jaguar genannte Konsole. Atari erkannte aber nicht als einziger Hersteller die Faszination der Polygongrafik. Auch Trip Hawkins mit seiner Firma 3DO träumte den Traum einer mächtigen 3D-Konsole als neuen Standard und sicherte sich bereits die Unterstützung von großen Publishern wie z. B. Electronic Arts. Man kann nur spekulieren, aber hätte es die Zersplitterung des Marktes durch 3DO, Jaguar und Commodores Amiga CD32 nicht gegeben, hätte der Nischenmarkt eventuell ausgereicht, um dem Jaguar das Überleben zu sichern.

 

Jaguar-4Jaguar-5

Jedenfalls geriet man bei Atari etwas in Panik, als Trip Hawkins wie ein eitler Pfau über Messen stolzierte und seine neue Wunderwaffe 3DO präsentierte. Folglich konzentrierte man alle Energie auf das Projekt Jaguar, um rechtzeitig vor dem Konkurrenten und zum lukrativen Weihnachtsgeschäft 1993 auf den Markt zu drängen. Und tatsächlich - das Vorhaben gelang. Die Überraschung war enorm, als Atari gegen Ende des Jahres 1993 über Nacht die fertige Jaguar Konsole der Öffentlichkeit vorstellte. Im Vorfeld gab man sich sehr wortkarg und ging erst zum Release im Testmarkt (New York und San Francisco) in die PR Offensive. Auch in der ansonsten sehr auf Nintendo & SEGA fixierten deutschen Presselandschaft war das Interesse plötzlich groß, sollte der Jaguar doch über einen unglaublichen 64-Bit-RISC Prozessor verfügen, und eine für damalige Verhältnisse verschwenderische 3D-Optik ermöglichen.

Der Packungsinhalt anno 1994Doch Atari kämpfte bereits zu Release der Raubkatze mit großen Problemen. Finanziell ausgeblutet besaß der Konzern schon nicht mehr die Mittel, um den Jaguar selbst in Fernost produzieren zu lassen. Glücklicherweise liess sich mit dem einstigen Konkurrenten IBM dann doch noch ein Partner für die Produktion der Raubkatze finden, was den ursprünglich angepeilten US-Verkaufspreis von 200 Dollar aber weiter in die Höhe trieb und bei 250 Dollar einpendeln ließ. Als das Gerät dann am 18. November 1993 endlich in den US-Händlerregalen stand, war die Reaktion der Käufer eher verhalten. Sicherlich auch ein »Verdienst« der schlechten Presse im Vorfeld, denn keiner traute der angeschlagenen Company aus Sunnyvale mit dem Jaguar noch ein Comeback zu.

Bis der Jaguar dann im Herbst 1994 nach Deutschland kam, dauerte es fast ein ganzes Jahr. Zu lange - denn mittlerweile geisterten bereits Informationen über die neuen 32-Bit Wunderkonsolen von Sony und SEGA durch den Blätterwald. Zudem war die Spieleauswahl sehr begrenzt, gerade einmal 7 Spiele wurden zwischen November 1993 und Oktober 1994 releast. Erst durch eine außergerichtliche Einigung mit SEGA und einer daran geknüpften »Investition« der Japaner in Höhe von 60 Mio. US-Dollar erreichte man eine teilweise finanzielle Handlungsfähigkeit. Man nutzte die Gelegenheit und versuchte nun mit dem Jaguar verlorenen Boden aufzuholen, indem man am Preis schraubte. Im Gegensatz zur unsichtbaren PR in Deutschland fuhr man in den USA eine recht aggressive Linie und versuchte über Preissenkungen (teils fast bis zu 50%!) ein Bein auf den Boden zu bekommen. Doch die Verkäufe blieben zur Sorge der Unternehmensführung auch weiterhin hinter den Erwartungen zurück.

 

Werbung zur Jaguar-Preissenkung:



Im Falle Deutschland kamen noch die immer wiederkehrenden Vertriebsschwierigkeiten hinzu. Nachdem die langjährige deutsche Niederlassung in Raunheim ihre Pforten schließen musste, war man gezwungen auf externe Hilfe zu setzen. Doch die währte meist nicht lange. Etwa die Zusammenarbeit mit der Cosmo Entertainment Group, welche die deutschen Zügel als General Distributor lediglich für 7 Monate im Zeitraum März bis September 1995 in den Händen hielten. Das trug natürlich weiter zur Verunsicherung bei. Auch das kurz darauf veröffentlichte Jaguar CD konnte keinen Wendepunkte in der Geschäftsentwicklung markieren, lediglich 20.000 Einheiten wurden produziert.

Zuletzt verramschten Distributoren und Händler die hiesigen Restbestände des Jaguars palettenweise von einem holländischen Zentrallager aus. Weltweit dürften die Verkaufszahlen zwischen geschätzten 150.000 - 250.000 Konsolen liegen, offizielle Zahlen liegen nicht vor. Nachdem Atari im Juni 1996 mit dem Festplattenhersteller JTS fusionierte, bestand die Abteilung "Jaguar" nur noch aus einem Schreibtisch im Großraumbüro. Zwar hatte man die verunsicherte Fangemeinde damit getröstet, man werde auch weiterhin neue Software für Jaguar und Jaguar CD veröffentlichen, doch das Versprechen löste Atari selbst nie ein. Lediglich treue Dritthersteller wie Telegames versorgten den Jaguar auch zukünftig mit Software.
 

Wohl auch aus Frust daraus taten sich bald schon die ersten Teams begeisterter Jaguar-Fans zusammen, um in Eigenregie weitere Spieletitel (sog. »Homebrews«) zu entwickeln. Viele dieser meist in knapper Freizeit entwickelten Titel zeigen jedoch erstmals so richtig, wie viel bislang ungenutzte Power in der recht kompliziert programmierbaren Raubkatze schlummert.

 

Gerät/Module

 

Jaguar-1Auf den ersten Blick besticht der Atari Jaguar durch sein futuristisches 90er-Jahre-Design. Das in matt grau gehaltene Gehäuse mit dem klangvollen Schriftzug „64-Bit Interactive Multimedia System“ und dem schicken „Jaguar“-Logo auf der linken Seite weiß zu gefallen, trifft jedoch auch nicht jedermanns Geschmack. Häufig wurde der Jaguar in Fankreisen von Fans und Kritikern liebevoll »Toilet Seat« genannt, was gerade in Kombination mit dem CD Aufsatz auch gar nicht so befremdlich wirkt, denn mit geöffnetem CD Laufwerk hat das Gerät schon etwas von einem geöffneten Klodeckel. Trotz alledem lässt sich sagen, dass Atari mit dem Design des Jaguars schlimmeres hätte anstellen können. Die Verarbeitung des Grundgerätes ist dabei äußerst robust ausgefallen und ist kein Vergleich zu den labil konstruierten 3DO Konsolen der Konkurrenz aus damaligen Tagen, was aber zum Teil auch an der modulbasierten Variante lag.

Interessant ist der Blick ins Innere des Jaguars, denn das gesamte Mainboard liegt »hinter Gittern«. Ein abgeschlossener Eisenkäfig umgibt die Innereien der Raubkatze, so wie man es sich im örtlichen Zoo ebenfalls wünscht. Was die Anschlussvielfalt angeht, hat die 64-Bit Maschine nicht viel zu bieten. An der Front befinden sich 2 Controller Anschlüsse, auf der Rückseite sitzen Netzanschluss, Antennenanschluss und 2 Steckplätze der Platine, die aus dem Gehäuse ragen. An einer Stelle kann das RGB Kabel angeschlossen werden, der andere Steckplatz, DSP genannt, dient für den Anschluss des Jag-Link Kabels oder des ursprünglich geplanten Modems. Eine einfache Möglichkeit zu erkennen, ob es sich bei einem Jaguar um ein NTSC oder ein PAL Gerät handelt bietet die LED über dem Power Schalter. Bei NTSC Geräten leuchtet sie rot, bei PAL Geräten grün. Das macht es einfacher die beiden Versionen auseinanderzuhalten. Die Konsole kam in einer schwarzen OVP, mit dem charakteristischen »Jaguar« Schriftzug und den Augen einer Raubkatze. Zu damaligen Zeiten war dieses Design ungewohnt, denn normalerweise zeigten die OVPs aus den 90ern noch die Hardware auf den Kartons. Der prägnante und sehr auffällige Schriftzug jedoch macht optisch einiges her, auch hier kann Atari kein Marketingfehler vorgeworfen werden.

Jaguar-6Als Datenträger nutzt der Jaguar klassische Module. Die schmucken schwarzen Carts fassten bis zu 48Mbit an Daten und boten serienmäßig ein eingebautes EEPROM um Spielstände abzuspeichern. So war es bei nahezu jedem Jaguar Spiel möglich Spielstände und Highscores zu speichern, eine Tatsache, die Mitte der 90er Jahre noch kein Standard war. Das Design der Module gibt sich dabei ebenfalls futuristisch wie das Grundgerät. Auf der Oberseite der Cartridges ist ein runder »Griff« zu finden, der wohl das Hereinstecken und Herausziehen erleichtern sollte. Optisch wirkt es jedoch etwas befremdlich. Auf der Rückseite der Carts befindet sich bei den meisten Spielen ein eingeprägtes Atari Logo und ein eingeprägter Schriftzug. Die Module kamen alle in einheitlich designten schwarzen Papp-OVPs und boten ein Pappinlay wie auch schon die SNES-Module. Die Maße der Verpackung entspricht dabei genau denen der SNES-OVPs, sogar die weißen Innenkartons der SNES-Spiele passen perfekt in die Jaguar Kartons. Auffällig bei einigen PAL-Verpackungen ist die teilweise amateurhafte Übersetzung von den englischen Packungstexten ins Deutsche, wie am Beispiel von Val D’Isere Snowboarding gezeigt werden soll. Die schönste und auch zugleich begehrteste Cartridge für den Jaguar ist jedoch das in transparenter Hülle ausgelieferte Battlesphere Gold, welches anno 2000 in kleiner Auflage erschien und heute das teuerste Jaguar-Spiel überhaupt darstellt.

Zubehör

Jaguar-7Viele Spiele erblickten nicht das Licht der Welt auf dem Jaguar. Umso überraschender ist es zu sehen, wie viel Zubehör veröffentlicht wurde und vor allem was noch erscheinen sollte. So sind neben einem obligatorischen 4 Spieler-Adapter, mit dem NBA Jam Tournament Edition und White Men Can’t Jump zu viert gespielt werden können, noch einige andere Sachen erschienen, die teils sinnvoll und nötig sind, um ansprechend an seiner Raubkatze spielen zu können, teilweise aber auch experimentell und recht ungewöhnlich sind.

Ein absolutes Must-Have ist dabei sicherlich der Pro Controller. Das im Original nicht optimal gelungene Pad wurde überarbeitet und mit 6 Buttons + 2 Schultertasten ausgestattet. Das hakelige Steuerkreuz des Originals tauschte Atari gegen ein weiches und präzises D-Pad aus. Der Jaguar Besitzer sollte zudem über die Anschaffung eines RGB-Kabels nachdenken, denn mit dem beiliegenden Antennenkabel kommen höchstens Erinnerungen an alte VCS Sessions vor dem 80er Jahre TV wieder hoch. Leider sind die RGB-Kabels recht selten und begehrt, so dass sich die Preise recht hoch ansiedeln. Mit ein wenig Geschick kann aber ein RGB-Kabels selbst gebastelt werden.

Jaguar-6Ebenfalls noch zu offiziellen Atari-Zeiten ist neben dem optionalen CD-Rom Aufsatz noch das Jag-Link Kabel erschienen. Mit der Link-Strippe werden 2 Jaguar-Konsolen vernetzt, um im Link Modus gegeneinander anzutreten. Leider unterstützten dieses Zubehör nur Doom, Aircars und Battlesphere. Neben dem obligatorischen Controller-Verlängerungskabel und dem Memory Track Modul für das Jaguar CD sollte vor allem noch die Cat Box erwähnt werden. Die nur in geringen Stückzahlen von ICD hergestellte Erweiterung wird hinten an der Rückseite des Grundgerätes angeschlossen und erweitert den Jaguar mit vielen nützlichen Anschlüssen.



Experimentell und vor allem interessant gestaltet es sich beim wohl ambitioniertesten Zubehör-Projekt, welches nicht mehr das Licht der Welt erblickte - das VR-Headset. Mit dem VR-Headset wollte Atari den Wunsch der Spieler nach „Virtual Reality“ erfüllen, DAS Zauberwort der 90er Jahre. Leider führten Ataris finanzielle Schwierigkeiten dazu, dass der Entwickler Virtuality nicht mehr weiter bezahlt und die Entwicklung eingestellt wurde. 2 Prototypen haben jedoch überlebt und befinden sich in Sammlerhänden. Auf dem E-Jagfest 2009 in Kaarst konnte es jedoch angespielt werden. Einen ausführlichen Hands-On Bericht findet ihr ebenfalls bei neXGam. Ein weiteres interessantes Zubehör stellt das Voice Modem dar, welches es ermöglicht über die Telefonleitung einen anderen Jaguar anzuwählen und quasi „online“ gegen einen Gegner anzutreten. Einige Prototypen von diesem Modem überlebten die Säuberungsaktion der Atari Headquarters und machen nun die Runde in Sammlerkreisen. Interessanterweise unterstützt das Spiel Ultra Vortek das Voice Modem. Durch einen Cheat im Hauptmenü schaltet ihr das Connection Menü für das Voice Modem frei.

Technische Details

Hier noch die technischen Details des Atari Jaguar:
 

Maße: 260 x 240 x 50 mm (Länge x Breite x Höhe)
CPU: Motorola MC68000 16-Bit CISC
Taktfrequenz: 13.3 MHz
RAM: 2 MByte
Grafikchip: 64-Bit RISC (Codename: TOM)
Auflösung: 640x480
Farbpalette und -tiefe: 16,7 Mio. Farben bei bis zu 24 Bit Farbtiefe
Ports: 2 Joystick Ports, 1 Modulschacht, Power In, AV Out
Sound: 32-Bit Stereo (Codename JERRY)

 

Heiko meint:

Heiko

Der Jaguar nimmt in meiner persönlichen Favoritenliste eine Sonderstellung ein. Bereits zum Release 1994 habe ich dank eines finanzkräftigen Freundes die Gelegenheit gehabt Ataris 64-Bit Angriff zu testen und war als Atari-Fan der ersten Stunde sofort angetan, nicht zurletzt weil wir im Vorfeld fleißig Fachmagazine studiert hatten und somit Fehlkäufe ausblieben. Mit einem Startpaket aus Tempest 2000, Alien vs. Predator und Cybermorph hatten wir mächtig Spaß. die Liebe zur Raubkatze riss bis heute nicht ab und so wird auch jetzt noch fleißig jedes Spiel und Zubehör für Ataris letzten Kraftakt gesammelt.

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Forum
  • von ChrisWR:

    Ich hab damals alles zu Original Preisen gekauft, Iron Soldier 2 war dann 16 Jahre lang mein letztes Jaguar Spiel wo ich gekauft habe.

  • von fflicki:

    Aber aus Fehlern lernt man ja ...

  • von Alpha-1:

    jori schrieb: fflicki schrieb: jori schrieb: Ich habe bei der Neckermann Fundgrube die Jag CD Unit für 99 DM gekauft, die...

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