Wuselfaktor und Wissenschaft – Die Creatures-Reihe

PC Windows

Seite 1: Die Creatures-Reihe

1996 fiel mit dem ersten Teil von Creatures (erschienen für Windows 3.1/95 sowie Mac OS 7) der Startschuss für die ausgefeilte Lebenssimulationsreihe, die praktisch im Alleingang von Mastermind Steve Grand konzeptioniert und umgesetzt wurde. In der liebevoll gestalteten zweidimensionalen Rundwelt namens Albia leben die felinen Norns – putzige Fellwesen, die durch genetisch festgelegte Biochemie, Instinkte und Lernfähigkeit mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind, und mit ihrer Umwelt und ihren Artgenossen interagieren. Das Verhalten der Tierchen ist nicht etwa gescriptet, sondern basiert gänzlich auf den simulierten Bedürfnissen der virtuellen Wesen. Wenn sie sich nach dem Schlüpfen aus ihrem buntgemusterten Ei aufmachen, die umliegende Welt zu erkunden, hat der Spieler die Wahl, ob er seinen Schützlingen helfend unter die Arme greift oder sie selbstständig ihre Umgebung erkunden lässt.


Big-PartyKlassischerweise kümmert der geneigte Nornzüchter sich so gut es geht um die Bewohner der virtuellen Welt: Er versorgt die Fellknubbel mit Nahrung und Spielzeug, lehrt sie eine (sehr rudimentäre) Sprache und begleitet sie bei ihren Reisen durch Albia – immerhin ist bekannt, dass irgendwo im Dschungel der fiese Grendel lebt. Dieser grüne Bösewicht ein gewalttätiges, Krankheitserreger speiendes Monstrum, dessen liebste Beschäftigung es ist, Norns zu verprügeln. Ist der Spieler etwas herzloser gepolt, so kann er der Welt mit ihren Bewohnern auch einfach seinen Lauf lassen und abwarten, wie sich die Norns ohne menschliche Führung schlagen. In einem sogenannten „Wolfling-Run“ lässt man ein paar frisch ausgebrütete Norns für mehrere Stunden – oder sogar Tage – allein. Die stärksten, klügsten und paarungsfreudigsten Norns überleben, pflanzen sich fort und geben ihre Gene an die Nachkommen weiter. Was wohl dabei rauskommt? Die Antwort gibt’s weiter unten!


CS-nornsNach dem ersten Teil der Reihe erschienen innerhalb weniger Jahre mehrere Nachfolger, die das Konzept verfeinern sollten. Creatures 2 (1998 erschienen für Windows 3.1/95/NT, allerdings nicht für Mac OS) fiel bedauerlicherweise hauptsächlich durch seine unzähligen Bugs, insbesondere ein fehlerhaftes Norn-Genom zu Release und daraus resultierende Unspielbarkeit auf. Neben Norns und Grendels wurde außerdem eine weitere Rasse, die Ettins, eingeführt. Darüber hinaus war ein sogenannter Gensplicer implementiert, der es erlaubte, Genome von verschiedenen Kreaturen miteinander zu verschmelzen. Creatures 3 (1999 erschienen für Windows 95/98, später auch Linux), bei dem Steve Grand kaum noch involviert war, verlagerte den Ort des Geschehens von der Rundwelt Albia auf ein terrariumähnlichen Raumschiff, das später auch mit dem kostenlosen Add-On namens Docking Station (2001 erschienen) verknüpft werden konnte. Docking Station machte es endlich möglich, sich innerhalb des Spiels online mit anderen Züchtern zu verbinden und auf direktem Wege Norns zu tauschen. In den folgenden Jahren wurden noch einige Spin-Offs für kleinere Kinder veröffentlicht, die jedoch mit der ursprünglichen Reihe nicht mehr viel zu tun hatten und daher außer Acht gelassen werden können.

Erweiterter Spielspaß durch aktive Online-Community

 

Elanor-pregnantEs sei darauf hingewiesen, dass der wahre Erfolg von Creatures, ähnlich wie bei den Sims, der treuen und kreativen Fanbase im Internet zu verdanken ist. Durch die Möglichkeit, eigene Gegenstände, Tools, Welten und Nornrassen zu programmieren, blieben fleißige Nornzüchter nicht lediglich auf das Basisspiel beschränkt, so dass bald in den diversen Teilen der Reihe Aquatic Norns geheimnisvolle Unterwasserwelten und Magma-Norns glühende Wüstengebiete bevölkerten. Tropische Dschungel als Erweiterung zum Raumschiff in Docking Station finden sich ebenso wie kunterbunte Puppen für Creatures 3, mit denen die Langeweile der Norns ausgebremst werden kann, oder ein Weihnachts-Set mit Truthahn und Mistelzweigen für Creatures 1. Darüber hinaus sind verschiedenste Verkaufsautomaten für Futter und Medizin verfügbar, ebenso wie komfortable Tools, mit denen sich die Biochemie der Felinen genauestens unter die Lupe nehmen lässt. Vom automatischen Doktor über Fruchtbarkeitsmonitore für Norndamen bis hin zu ausgeklügelten Programmen für Genanalyse und –bearbeitung gibt es alles, was das Züchterherz begehrt. Bis heute finden sich für alle 3½ Teile von Creatures unzählige (mehr oder weniger gut gepflegte) Websites im Netz, über die man die sogenannten COBs (Creatures Objects) und verschiedenste Nornrassen (mit veränderten Sprites und/oder Genomen) downloaden kann.

Gottkomplex oder verkappter Dr. Frankenstein?

 

genomeditorWie bereits angeklungen, ist der faszinierendste Aspekt beim Umgang mit den Norns jedoch die Tatsache, dass alle Eigenschaften, vom Aussehen über den Stoffwechsel bis hin zum Temperament, genetisch festgelegt  und somit vererbbar sind. So lassen sich die Attribute der Elterngeneration bei den Nachkommen wiedererkennen, sofern sich nicht (und das ist der besondere Clou!) eine Mutation dazwischen schleicht, die vielleicht die Farbe des Kindes ein wenig mehr in Richtung Blau verschiebt, den Glukosestoffwechsel verändert oder sogar den Schwanz optisch verschwinden lässt. Mit gezielter Verpaarung von passenden Elterntieren und Glück bei der Mutation lassen sich so einzigartige Norns heranzüchten. Jedes der (je nach Version) 330 bis über 800 Gene kodiert für einen bestimmten Zweck, beispielweise einen Stoffwechselprozess, Verhaltensweisen, die Funktion eines Organs oder das Aussehen eines Körperteils. Diese unterliegen einen gewissen Mutationswahrscheinlichkeit (mögliche Prozesse dabei sind Mutation, Duplikation oder Deletion), wodurch sich der Genpool nach hunderten oder tausenden Generationen unter Umständen radikal vom Ausgangsmaterial unterscheidet.


Wem das alles zu lange dauert, der kann sich im Fundus der im Netz bereitgestellten Genbearbeitungstools bedienen, um dort am Genom seiner Schützlinge herumzupfuschen. Dr. Frankenstein lässt grüßen, doch Obacht! – Eine unbedachte Änderung an einem lebenswichtigen Gen im Stoffwechsel oder zur elementaren Lebenskraft kann dazu führen, dass der Norn nach der Genmanipulation nicht mehr lebensfähig ist oder als Krüppel sein Dasein fristen muss. Und da es sich um wirkliches simuliertes Leben handelt (wie Steve Grand betont), sollten solche Experimente nur vorgenommen werden, wenn der Züchter weiß, was er da tut.

Seite 2: Tagebuch & Zielgruppenbestimmung

Ein paar Stunden im Leben einer Nornpopulation

 

Finwe-BrutkastenNach so viel Theorie wollen wir uns nun endlich in die Welt von Albia stürzen und eine Population von Norns auf ihrem Weg begleiten. Dazu richten wir in Creatures 3 einen Metaroom ein, der die Creatures 1-Welt Albia und die dort vorkommenden Nornrassen simuliert. Unser erstes Ei wird in die Welt importiert und schlüpft nach kurzer Verweildauer im Brutkasten. Der kleine Purple-Mountain-Norn wird auf den Namen Finwe getauft und wir planen, ihn später zum Vater einer Nornfamilie werden zu lassen. Um seinen Nachkommen ein guter Lehrer sein zu können, legen wir Wert auf frühkindliche Bildung: Direkt nach seiner Geburt muss Finwe am Computer Vokabeln pauken, um die rudimentäre Sprache zu erlernen. Wir brüten ihm auch eine Kameradin aus, eine blondschöpfige Horse-Norndame, die auf den Namen Galadriel hören soll. Ob die beiden sich wohl gut verstehen werden? Weitere Gesellschaft in Form von Elu Thingol und Elanor sind auch bald geschlüpft, doch Finwe fühlt sich von so vielen Norns eingeengt und begibt sich auf Entdeckungsreise durch die Welt von Albia. Diese soll ihm jedoch schon nach kurzer Zeit zum Verhängnis werden, denn im Unterseeboot unter dem Meer findet der jugendliche Norn keine Nahrung und verhungert kläglich. Große Traurigkeit!
 

Norn-talkSo müssen die Fortpflanzungpläne mit den übrigen Norns realisiert werden. Um sicherzugehen, dass bei weiteren unerwarteten Todesfällen genügend fruchtbare Norns zur Verfügung stehen, wird der Brutkasten weiter mit Eiern gefüttert, so dass bald auch Olwe, Miriel, Ingwe und Goldilocks die Welt von Albia bevölkern. Während Galadriel das ein Alter erreicht, in dem sie Paarungsbereitschaft zeigt, muss man den in der Entwicklung hinterherhinkenden Elu Thingol noch daran erinnern, regelmäßig zu fressen. Gut, dass er bereits die Sprache gelernt hat, so dass wir ihn mit "Elu Thingol eat food" dazu auffordern können, seine Glukosespeicher wieder aufzufüllen. Ob er auch wirklich gehorcht, ist allerdings eine ganz andere Frage. In puncto Gehorsamkeit verhalten Norns sich ähnlich arbiträr wie Katzen.

 

Endlich sind auch die Männchen erwachsen, und erfreulicherweise fühlen Elanor und Elu Thingol sich zueinander hingezogen, so dass wir auf baldigen Nachwuchs hoffen dürfen. Die Paarung läuft bei Creatures jedoch streng jugendfrei ab: Nach dem Austausch von viel Gekicher und lautstarken harmlosen Küsschen, die den Liebestrieb anheizen (verfolgbar durch die Biochemieanzeige des virtuellen Doktors) ertönt das Geräusch, das jedes Züchterherz höherschlagen lässt: Ein langer Kuss, gefolgt von einem unverkennbaren Plopp-Geräusch. Die Befruchtung war erfolgreich! Elanor ist schwanger und legt alsbald ein wunderhübsch gemustertes Ei, aus dem nach kurzer Zeit ein Jungtier schlüpft. Der Sohn der beiden stolzen Eltern wird auf den Namen Elweion getauft und weist den dunkelbraunen Horse-Norn-Kopf seines Vaters und die rosa und grau gescheckten Purple-Mountain-Arme seiner Mutter auf. Langsam ziehen auch die anderen Norndamen nach, und so erblickt eine ganze Armada junger Norns das Licht der Welt.


Big-group-talkingDie große Gemeinschaft lebt glücklich in der Nähe des Brutkastens. Seit Finwes verfrühtem Tod scheint sich niemand mehr in die böse Welt hinauszuwagen, bis der junge Olweion sich aufmacht, in die Fußstapfen seines Onkels zu treten. Er durchquert Garten, Dschungel und die zwei Ozeane, entdeckt den großen Leuchtturm und erkundet ein Haus voll einzigartiger Gegenstände. Schließlich hat er die Rundwelt Albia einmal durchquert und kehrt wohlbehalten zu seiner Familie zurück.

 

 

Unerfreulicherweise hat sich in der Population ein kleiner Genfehler eingeschlichen: Das Genom der Banana-Norns scheint für Creatures 3 nicht korrekt portiert worden zu sein und wurde durch den fertilen Casanova Olwe an seine ungezählten Nachkommen vererbt. Dadurch bevölkern nun einige Norns mit zu kurz geratenen Körpern die Welt. Ob sich das wieder herauszüchten lässt? Vielleicht sollten wir die Fellknäuel für ein paar Tage sich selbst überlassen und schauen, was dabei herauskommt…

 

Abschließende Gedanken

 

Dies bringt uns zurück zu der Frage: Wie verändert sich der Norn-Genpool nach einem durchschnittlichen Wolfling-Run, bei dem den Spieler nicht mehr in die Entwicklung eingreift? Die Antwort: Nach entsprechend vielen Generationen tendiert die Evolution dazu, unsterbliche, extrem fruchtbare schnell alternde Norns hervorzubringen. Wie langweilig! Doch auch dagegen gibt es Abhilfe in Form eines entsprechend veränderten Genoms, in dem bestimmte Mutationsmöglichkeiten deaktiviert sind. An dieser Stelle sei besonders für Creatures 3 das CFE-Genom zu empfehlen, welches das nornische Gehirn erweitert und diverse für Wolfling-Runs hilfreiche genetische Verbesserungen (beispielsweise geänderte Mutationsraten) aufweist.


Banana-shortbodiesSollte der geneigte Leser sich nun für diese einzigartigen Wesen interessieren: Bei Good Old Games kann man die Spiele mit Kompatibilität für aktuelle Betriebssysteme käuflich erwerben. Die Portierung scheint jedoch nicht immer gelungen zu sein, da beispielsweise Creatures 1 im Test mehrmals unerwartet abstürzte, die Auswahl der auszubrütenden Eier fehlerhaft ist und einige Sprites für Gesichtsausdrücke nicht richtig angezeigt werden. Für Docking Station sind bedauerlicherweise seit ein paar Jahren die Anmeldeserver down, so dass man das kostenlose Mini-Creatures nicht mehr spielen kann, sofern man sich keinen Auto-Login-Blocker herunterlädt. Empfehlung daher: Creatures 3 kaufen oder Docking Station kostenlos downloaden, C1-to-DS-Metaroom inklusive Login-Blocker und C1-Norn-Sprites installieren (ggfs. keine Banana-Norns ausbrüten) und das Original-Creatures-1-Feeling mit Creatures-3-Komfort genießen.

Olweion-exdploreCreatures ist ein etwas eigenwilliges Spiel, basiered auf dem Konzept eines ebenso eigenwilligen (passenderweise mit Gottkomplex ausgestatteten) Schöpfers. Dennoch können erstaunlich viele verschiedene Spielertypen mit der Lebenssimulation glücklich werden: Kinder erfreuen sich an der fröhlich-bunten Grafik, bei weiblichen Spielern wird der Mutterinstinkt noch stärker als bei den Sims befriedigt, Wissenschaftler können stundenlang über der Wirkungsweise von Genen tüfteln, wohingegen die vielen Moddingmöglichkeiten Spieler mit entsprechenden Programmierkenntnissen ansprechen, und Darwinisten können Evolution im Zeitraffer bewundern. Wer also über etwas angestaubte Grafik und gelegentliche Bugs hinwegsehen kann und auch ohne konkretes Spielziel zufrieden ist, dem sei Creatures ans Herz gelegt. All diejenigen, die die ersten beiden Punkte nicht verkraften können, müssen sich leider noch ein wenig gedulden, bis Creatures 4 bzw. Grandroids erscheint.

Übersicht: Wuselfaktor und Wissenschaft – Die Creatures-Reihe

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Forum
  • von Eppe:

    Irgendwas hab ich da wohl ständig falsch gemacht; die wurden bei mir ständig krank und waren immer hungrig, egal was ich getan hab es hat nix gebracht, dann hatte ich es glaube einmal geschafft das einer der Viecher krankheitsresistent wurde, er schien auch zufrieden bis zu dem Zeitpunkt als er...

  • von hydr0x:

    Ich hab den ersten Teil damals gespielt und fand es eine sehr angenehme Abwechslung vom Spielealltag. Auch wenn es manchmal schwierig war die ersten Befehle und so beizubringen hat es doch Spaß gemacht herumzuexperimentieren ...

  • von milarya:

    Hier mal ein kleiner Hinweis auf das neue Special zu Creatures auf der Hauptseite. Gibt's hier noch mehr (ehemalige?) Nornzüchter? Zwei Nachfolger sind auch bereits angekündigt, ich bin schon voller Vorfreude! Wuselfaktor und Wissenschaft – Die Creatures-Reihe Von den Sims...

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