Klassischerweise kümmert der geneigte Nornzüchter sich so gut es geht um die Bewohner der virtuellen Welt: Er versorgt die Fellknubbel mit Nahrung und Spielzeug, lehrt sie eine (sehr rudimentäre) Sprache und begleitet sie bei ihren Reisen durch Albia – immerhin ist bekannt, dass irgendwo im Dschungel der fiese Grendel lebt. Dieser grüne Bösewicht ein gewalttätiges, Krankheitserreger speiendes Monstrum, dessen liebste Beschäftigung es ist, Norns zu verprügeln. Ist der Spieler etwas herzloser gepolt, so kann er der Welt mit ihren Bewohnern auch einfach seinen Lauf lassen und abwarten, wie sich die Norns ohne menschliche Führung schlagen. In einem sogenannten „Wolfling-Run“ lässt man ein paar frisch ausgebrütete Norns für mehrere Stunden – oder sogar Tage – allein. Die stärksten, klügsten und paarungsfreudigsten Norns überleben, pflanzen sich fort und geben ihre Gene an die Nachkommen weiter. Was wohl dabei rauskommt? Die Antwort gibt’s weiter unten!
Nach dem ersten Teil der Reihe erschienen innerhalb weniger Jahre mehrere Nachfolger, die das Konzept verfeinern sollten. Creatures 2 (1998 erschienen für Windows 3.1/95/NT, allerdings nicht für Mac OS) fiel bedauerlicherweise hauptsächlich durch seine unzähligen Bugs, insbesondere ein fehlerhaftes Norn-Genom zu Release und daraus resultierende Unspielbarkeit auf. Neben Norns und Grendels wurde außerdem eine weitere Rasse, die Ettins, eingeführt. Darüber hinaus war ein sogenannter Gensplicer implementiert, der es erlaubte, Genome von verschiedenen Kreaturen miteinander zu verschmelzen. Creatures 3 (1999 erschienen für Windows 95/98, später auch Linux), bei dem Steve Grand kaum noch involviert war, verlagerte den Ort des Geschehens von der Rundwelt Albia auf ein terrariumähnlichen Raumschiff, das später auch mit dem kostenlosen Add-On namens Docking Station (2001 erschienen) verknüpft werden konnte. Docking Station machte es endlich möglich, sich innerhalb des Spiels online mit anderen Züchtern zu verbinden und auf direktem Wege Norns zu tauschen. In den folgenden Jahren wurden noch einige Spin-Offs für kleinere Kinder veröffentlicht, die jedoch mit der ursprünglichen Reihe nicht mehr viel zu tun hatten und daher außer Acht gelassen werden können.
Erweiterter Spielspaß durch aktive Online-Community
Es sei darauf hingewiesen, dass der wahre Erfolg von Creatures, ähnlich wie bei den Sims, der treuen und kreativen Fanbase im Internet zu verdanken ist. Durch die Möglichkeit, eigene Gegenstände, Tools, Welten und Nornrassen zu programmieren, blieben fleißige Nornzüchter nicht lediglich auf das Basisspiel beschränkt, so dass bald in den diversen Teilen der Reihe Aquatic Norns geheimnisvolle Unterwasserwelten und Magma-Norns glühende Wüstengebiete bevölkerten. Tropische Dschungel als Erweiterung zum Raumschiff in Docking Station finden sich ebenso wie kunterbunte Puppen für Creatures 3, mit denen die Langeweile der Norns ausgebremst werden kann, oder ein Weihnachts-Set mit Truthahn und Mistelzweigen für Creatures 1. Darüber hinaus sind verschiedenste Verkaufsautomaten für Futter und Medizin verfügbar, ebenso wie komfortable Tools, mit denen sich die Biochemie der Felinen genauestens unter die Lupe nehmen lässt. Vom automatischen Doktor über Fruchtbarkeitsmonitore für Norndamen bis hin zu ausgeklügelten Programmen für Genanalyse und –bearbeitung gibt es alles, was das Züchterherz begehrt. Bis heute finden sich für alle 3½ Teile von Creatures unzählige (mehr oder weniger gut gepflegte) Websites im Netz, über die man die sogenannten COBs (Creatures Objects) und verschiedenste Nornrassen (mit veränderten Sprites und/oder Genomen) downloaden kann.
Gottkomplex oder verkappter Dr. Frankenstein?
Wie bereits angeklungen, ist der faszinierendste Aspekt beim Umgang mit den Norns jedoch die Tatsache, dass alle Eigenschaften, vom Aussehen über den Stoffwechsel bis hin zum Temperament, genetisch festgelegt und somit vererbbar sind. So lassen sich die Attribute der Elterngeneration bei den Nachkommen wiedererkennen, sofern sich nicht (und das ist der besondere Clou!) eine Mutation dazwischen schleicht, die vielleicht die Farbe des Kindes ein wenig mehr in Richtung Blau verschiebt, den Glukosestoffwechsel verändert oder sogar den Schwanz optisch verschwinden lässt. Mit gezielter Verpaarung von passenden Elterntieren und Glück bei der Mutation lassen sich so einzigartige Norns heranzüchten. Jedes der (je nach Version) 330 bis über 800 Gene kodiert für einen bestimmten Zweck, beispielweise einen Stoffwechselprozess, Verhaltensweisen, die Funktion eines Organs oder das Aussehen eines Körperteils. Diese unterliegen einen gewissen Mutationswahrscheinlichkeit (mögliche Prozesse dabei sind Mutation, Duplikation oder Deletion), wodurch sich der Genpool nach hunderten oder tausenden Generationen unter Umständen radikal vom Ausgangsmaterial unterscheidet.
Wem das alles zu lange dauert, der kann sich im Fundus der im Netz bereitgestellten Genbearbeitungstools bedienen, um dort am Genom seiner Schützlinge herumzupfuschen. Dr. Frankenstein lässt grüßen, doch Obacht! – Eine unbedachte Änderung an einem lebenswichtigen Gen im Stoffwechsel oder zur elementaren Lebenskraft kann dazu führen, dass der Norn nach der Genmanipulation nicht mehr lebensfähig ist oder als Krüppel sein Dasein fristen muss. Und da es sich um wirkliches simuliertes Leben handelt (wie Steve Grand betont), sollten solche Experimente nur vorgenommen werden, wenn der Züchter weiß, was er da tut.